Weniger Schranken für Großprojekte in Brasiliens Amazonaswald

Zukünftig ohne Umweltgenehmigung?

Ein neues Umweltgesetz sorgt für Diskussionen in Brasilien. Es sieht vor, umstrittene Großprojekte wie Straßenbauprojekte durch den Amazonaswald von Auflagen zu befreien. Das würde die Kontrolle im Umweltbereich deutlich schwächen.

Autor/in:
Thomas Milz
Abholzung im Amazonas / © Tarcisio Schnaider (shutterstock)
Abholzung im Amazonas / © Tarcisio Schnaider ( shutterstock )

Seitdem Amtsantritt von Präsident Jair Messias Bolsonaro im Januar 2019 steht Brasilien in Umweltfragen auf dem Kriegsfuß mit Teilen der Weltgemeinschaft und Umweltaktivisten. Zwar hatte Bolsonaro Ende April auf dem von US-Präsident Joe Biden organisierten virtuellen Klimagipfel mehr Umweltschutz versprochen. In der Praxis reduziert seine Regierung jedoch die Umweltkontrollen. So sehr, dass internationale Investoren und Großkonzerne mit einem Boykott brasilianischer Agrarprodukte drohen.

Kontrolle im Umweltbereich wird schwächer

Am Donnerstag stimmte nun das Abgeordnetenhaus mit 300 zu 122 Stimmen für neue Regeln, die Großprojekte von Umweltlizenzen befreien. Das würde die Kontrolle im Umweltbereich deutlich schwächen. Neun ehemalige Umweltminister hatten zuvor in einem offenen Brief vor den Änderungen gewarnt. Auch Umweltschutzorganisationen laufen Sturm gegen die Änderungen.

Das "Allgemeines Gesetz über Umweltlizenzen" sieht vor, dass eine Reihe von Projekten, die "im Interesse der Allgemeinheit" liegen und "wenig Umweltbelastung" verursachen, von der Erteilung von Umweltlizenzen befreit werden. Präsident Bolsonaro und die mit ihm verbündete "Agrar-Fraktion" im Kongress sehen Umweltauflagen als Hemmnisse für die Entwicklung Brasiliens. Besonders in den Waldgebieten Amazoniens wären dringend benötigte Infrastrukturprojekte wie Stromtrassen, Staudämme und Straßen kaum zu realisieren.

Das neue Gesetz soll hier Abhilfe schaffen. Befreit werden von Umweltlizenzen soll unter anderem der Bau von Hochspannungstrassen, Klär- und Mülltrennungsanlagen sowie das Asphaltieren und Instandhalten von Straßen und Häfen. Zudem sind Bauprojekte des Militärs von Umweltlizenzen befreit, genau wie Infrastrukturprojekte, die zur Behebung von Notfallsituationen gebaut werden müssen.

Umweltverbände in Sorge

Umweltverbände sind besonders besorgt über die Befreiung großer Teile der Landwirtschaft von der Erteilung einer Lizenz. Für den Abgeordneten Neri Geller, Autor des Gesetzentwurfs, bringen die neuen Regeln dagegen "Rechtssicherheit" und vermeiden Bürokratie. Geller baut in großem Stil Mais und Soja in der südlichen Amazonasregion an. Während der Regierungszeit des Präsidenten Luiz Inacio Lula da Silva (2003-2010) hatte er sich offen gegen Umweltschutzmaßnahmen gewehrt.

Das neue Gesetz betrifft jedoch auch Bergwerksprojekte und die Errichtung von Staudämmen. Vor dem Hintergrund der Dammbrüche, die 2015 in Mariana und 2019 in Brumadinho Hunderte von Toten forderten, kritisierten Umweltaktivisten die Möglichkeit, dass für die Erweiterung bereits bestehender Projekte zukünftig eine Selbstverpflichtung des Betreibers ausreichen soll. Andre Lima vom "Instituto Democracia e Sustentabilidade" warnt, Unternehmen könnten sich künftig ihre eigenen Lizenzen in Form von Selbstverpflichtungen ausstellen.

Verheerende Folgen für die Amazonasregion gefürchtet

Besonders für die Amazonasregion fürchten die neun ehemaligen Umweltminister verheerende Folgen. Das Gesetz erleichtere Projekte, "die in der Vergangenheit für mehr als 95 Prozent der Abholzung in Amazonien verantwortlich waren, wie die Asphaltierung oder die Erweiterung von Straßen und der Ausbau von Wasserkraftwerken". Es werde keinerlei Mechanismen mehr geben, um Abholzung oder Landraub zu verhindern.

Auch indigene Völker und ihre Gebiete seien durch die neuen Regeln bedroht. So sollen die Indigenen zwar zu Großprojekten angehört werden, jedoch zukünftig kein Veto gegen diese einlegen können. Die alleinige Entscheidungsmacht hat in diesen Fällen die staatliche Umweltbehörde Ibama. Der Abgeordnete Geller wehrt sich gegen Kritik: "Man kann ja nicht einfach davon ausgehen, dass die Behörde Projekten zustimmt, die einem Schutzgebiet Schaden zufügen würden."

Umweltaktivisten sehen das anders. Die Regierung nutze das durch die Pandemie verursachte Chaos aus, um die Umweltgesetze über Nacht zu ändern, erklärte Luiza Lima von Greenpeace Brasilien. Für die persönlichen Interessen von Agrarproduzenten würden die Rechte der indigenen Völker verletzt und Schutzgebiete riskiert.

Alessandra Cardoso vom "Instituto de Estudos Socioeconomicos" setzt ihre Hoffnungen nun darauf, dass das Gesetz vom Senat gestoppt wird. Noch ist unklar, wann dieser über das Gesetz abstimmt.


Quelle:
KNA