domradio.de: Gelegentlich wird - auch von Katholiken - der Wunsch geäußert, den Kirchenbann und die Exkommunikation Martin Luthers zumindest als symbolischen Akt aufzuheben. Ist das auch für Sie eine Option?
Prof. Dr. Josef Freitag (Dogmatiker, Spiritual des Studienhauses St. Lambert in Lantershofen): Da muss man genau unterscheiden. Es wird die Versöhnung mit der Person Luthers notwendig werden, wenn die Versöhnung mit den lutherischen Kirchen und Christen gelingen soll, weil Luther einfach absolute Gründungsfigur der Lutheraner ist. Das ist mir ziemlich klar. Jetzt muss man sich den nächsten Punkt klar machen: Wo kommt dieser Gedanke der Exkommunikations- bzw. Bannaufhebung her? Doch aus der Erfahrung - wenn ich das richtig sehe -, dass der Bann gegenüber dem Patriarchen von Konstantinopel von 1054 am Ende des Zweiten Vatikanischen Konzil aufgehoben und zugleich auch von orthodoxer Seite der Bann gegen den Legaten des damaligen Papstes und damit den damaligen Papst aufgehoben worden ist. Bannaufhebung als Versöhnungssignal und -beginn: Das ist in Gegenseitigkeit geschehen. Wenn ich in diesem Sinne Luthers Bann aufgehoben sehen will, dann muss Bannaufhebung in Gegenseitigkeit geschehen. Dann ist auch der "Bann" des Papstes als Antichrist aufzuheben. Erste Schritte gibt es auf beiden Seiten. Antichrist ist gewichtige polemische Formel gegen Papst und Papsttum, aber von Luthers Seite nicht eine strikt prinzipielle, sondern eine konkrete Aussage.
domradio.de: Mit anderen Worten, eine Anerkennung des Päpstlichen Primates wäre dann von der lutherische Seite gefordert?
Prof. Freitag: Darüber ist schon viel diskutiert worden. Abgesehen davon, dass ich das für schwer vorstellbar halte, muss man allerdings sagen, dass es nicht der Primat in der Praxisgestalt von 1870 bis 1958 sein kann, sondern nur in der unabgeschlossenen Neujustierung von Primat und Episkopat bzw. Synodalität und Konziliarität.
domradio.de: Oder der Primat wie 1517.
Prof. Freitag: Luther hatte keine Probleme anzunehmen, was Gregor der Große am Ende des 6. Jahrhunderts gesagt hat: "Meine Ehre besteht darin, dass Achtung und Ehre meiner Mitbischöfe gewahrt werden." Luther ging es um den Primat des Wortes Gottes. Wogegen er sich gewehrt hat, ist das, was man "römisches Herrschaftsdenken" nennen könnte. Als dessen Instrument erschien das Kirchenrecht.
domradio.de: Welchen Einfluss hatte dieses?
Prof. Freitag: In der nachkonziliaren Reform des Kirchenrechts hat sich meiner Ansicht nach auch sein Stellenwert verändert. Das Kirchenrecht bleibt unverzichtbar, hat aber nicht den Rang, den die Theologie hat. Kirchenrecht hat eine Systematik und Normativität, ist aber selbst keine Dogmatik oder Moraltheologie, sondern die Form, wie unser Glaube eine praktikable, rechtlich annehmbare, verbindliche Gestalt gewinnt und wie Miteinander und Einheit unter den Katholiken zu (be-)wahren sind. Das Recht ist nach dem 2. Vatikanischen Konzil und auf der Basis seiner Aussagen reformiert worden. Es hat nicht den Rang des Konzils. Aber wenn ein Konzil rezipiert und umgesetzt werden soll, geht das nicht ohne Recht. Das Kirchenrecht ist für die Einheit und das Miteinander in der Kirche da. Es ist nicht einfach eine Größe in sich. Auch kein päpstliches Herrschaftsinstrument.
Das Interview führte Jan Hendrik Stens.