Zumwinkel tritt zurück - domradio-Gespräch über Moral in der Wirtschaft

"Der Kapitalismus frisst seine Kinder"

Klaus Zumwinkel ist von seinem Amt als Postchef zurückgetreten. Er zieht damit die Konsequenzen aus den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen ihn wegen des Verdachts auf Steuerhinterziehung. Bundeskanzlerin Angela Merkel begrüßte den Schritt. - Nokia, Bankenskandale weltweit und nun Millionen-Steuerhinterziehungen eines führenden Managers in Deutschland. Zeigt der Kapitalismus zunehmend sein hässliches Gesicht? Ja, sagt der christliche Sozialethiker Bernhard Emunds. Und spricht im domradio-Interview über die Gründe. - Auch katholische Bischöfe und Theologen befürchten inzwischen eine massive Vertrauenskrise in das Wirtschaftssystem.

 (DR)

"Man kann den Eindruck gewinnen, dass der Wirtschaftsliberalismus einer Deregulierungswut, die wir in den letzten Jahren hatten, nun ihre eigenen Kinder frisst. Man hat immer auf Markt, Konkurrenz, Eigennutz und damit auf ein zügelloses Geldvermehrungsinteresse gesetzt - und nun erntet man die schlechten Früchte dieser Einstellung. Und hat zugleich das Problem, dass die Legitimität dieses Wirtschaftssystems den Menschen immer weniger einleuchtet.

Bei denen, die besonders reich sind, ist das Bewusstsein abhanden gekommen, dass man Verantwortung für das Gemeinwohl  besitzt. Das ist eine Frage der Moral. Aber: Wie soll eigentlich ein Bewusstsein für Verantwortung da sein, wenn man alle Regeln abschafft?"

Hören Sie hier das Interview mit Prof. Bernhard Emunds, Professor für Christliche Gesellschaftsethik und Sozialphilosophie, in voller Länge.

Kirche sieht Vertrauen in Wirtschaft bedroht
Durch den Fall Zumwinkel droht nach Auffassung katholischer Bischöfe und Theologen eine massive Vertrauenskrise in das Wirtschaftssystem. Der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick warf Managern am Freitag vor, ihrer Vorbildfunktion nicht gerecht zu werden. Dass Spitzenverdiener Steuern hinterzögen, hinterlasse einen verheerenden Eindruck, sagte er. Viele Menschen verlören so das Vertrauen in den Staat und drohten, in den Rechts- oder Linksextremismus abzugleiten.

Schick verglich die Ereignisse in Deutschland mit denen in Entwicklungsländern. So scheitere die Entwicklung in Kenia, Simbabwe oder dem Tschad an korrupten Regierungen und Wirtschaftsmanagern. "Auch wir in Deutschland sind auf keinem guten Weg", rügte der Erzbischof.

Der neue Münchner Erzbischof Reinhard Marx forderte eine "Tugendethik für die Wirtschaft". In Unternehmen müsse die Grundhaltung vorherrschen, dass tugendhaftes Verhalten auf Dauer erfolgreich sei, sagte er in Bergisch Gladbach. Der Ehrliche dürfe nicht der Dumme sein. Um nicht eine Manager-Spezies zu fördern, die rein ökonomische Interessen verfolge, sollten moralische Kriterien stärker als bisher bei Einstellungen gewichtet werden.

Bund Katholischer Unternehmer
Der Bund Katholischer Unternehmer (BKU) erklärte, jeder neue Skandal bringe den moralischen Grundkonsens der Gesellschaft weiter ins Wackeln. "Wie kann ich den sprichwörtlichen kleinen Leuten noch erklären, sie sollten den Gürtel enger schnallen und brav ihre Steuern zahlen, wenn jede Woche ein neuer Skandal auftaucht?", sagte die BKU-Vorsitzende Marie-Luise Dött in Köln.

Sie äußerte die Überzeugung, "dass eine ethisch saubere Unternehmensführung und ein vertrauensvoller Umgang mit den Mitarbeitern langfristig auch wirtschaftlich erfolgreich macht". In der Mediengesellschaft sei der Imageschaden nach Fehlverhalten weitaus größer als der kurzfristige Erfolg, der durch Bestechung, Steuerhinterziehung oder ähnliches erzielt werde.

Merkel wünscht sich Entschuldigung von Zumwinkel
Klaus Zumwinkel hatte am Montagmorgen seinen Rücktritt angeboten. Der Präsidialausschuss des Aufsichtsrats der Deutschen Post habe den von Zumwinkel angebotenen Rücktritt angenommen, teilte das Unternehmen am Freitag in Bonn mit. Gegen Zumwinkel wird wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung ermittelt.

Angela Merkel begrüßte anschließend die Entscheidung, sagte aber auch, sie hätte sich eine öffentliche Erklärung Zumwinkels gewünscht. Gegen Zumwinkel laufen staatsanwaltschaftliche Ermittlungen wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung.

Wie der Sprecher des Bundesfinanzministeriums, Torsten Albig, am Freitag in Berlin mitteilte, tagt derzeit der Präsidialalauschuss der Post. "Nach den uns vorliegenden Informationen wird er darüber beraten, den von Herrn Zumwinkel angebotenen Rücktritt anzunehmen", sagte Albig. Der Präsidialausschuss werde dies begrüßen und dem Aufsichtsrat, der am Montag tage, eine entsprechende Empfehlung abgeben.

Hunderte Personen wegen Steuerhinterziehung im Visier der Fahnder
Der Sprecher des Bundesfinanzministeriums erklärte zudem, auf Grund dieser Vorgänge werde es auch zu einer Veränderung im Aufsichtsrat der Deutschen Telekom kommen, dessen Vorsitz Zumwinkel führt. Es seien "sehr viele" weitere Fälle von Leistungsträgern mit Verdacht auf Steuerbetrugs zu erwarten, erklärte der Sprecher weiter. Hunderte Personen wegen Steuerhinterziehung im Visier der Fahnder=

Die Steuerfahnder ermitteln bundesweit gegen "mehrere Hundert" Personen wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung. Dies teilte die Staatsanwaltschaft Bochum am Freitag mit. Es gehe dabei insbesondere um Geldanlagen in Stiftungen im Fürstentum Liechtenstein.