Zunehmende Gewalt gegen Obdachlose

Es trifft die Schwächsten der Gesellschaft

Mindestens 18 Obdachlose sind 2016 in Deutschland getötet worden. Meistens waren auch die Täter wohnungslos. Doch Experten vermuten, dass häufig rechte Motive hinter den Taten stehen und werfen der Bundesregierung Nachlässigkeit vor.

Autor/in:
Christiane Meister
Obdachloser auf der Straße (dpa)
Obdachloser auf der Straße / ( dpa )

In der Nacht auf den 13. November verbrannte in der Kölner Innenstadt ein Obdachloser. Ein von der Polizei gerufener Notarzt konnte dem 29-Jährigen nicht mehr helfen. Die Obduktion zeigte: Der Mann wurde getötet. Er hatte nicht nur Brandverletzungen, sondern auch eine blutige Nase und mehrere Schwellungen im Gesicht. Wenige Tage später nahm die Polizei ein unter Tatverdacht stehendes Paar aus dem Obdachlosenmilieu fest.

Im vergangenen Jahr wurden in Deutschland 18 obdachlose Frauen und Männer getötet. Das geht aus einer Statistik der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAGW) mit Sitz in Berlin hervor, die dem Evangelischen Pressedienst (epd) vorliegt. In zehn Fällen waren die Täter selbst wohnungslos. Auch in den 139 bekannten Fällen von Körperverletzung gegen Obdachlose waren die Täter 76 Mal selbst ohne feste Bleibe.

Zahlreiche Opfer rechter Gewalt

Alkohol und Drogen sowie die engen Verhältnisse in Obdachlosenunterkünften sind nach Angaben der BAGW häufige Motive von blutigen Auseinandersetzungen. "Schon geringfügige Anlässe können aufgrund der schwierigen persönlichen und sozialen Lebensumstände der wohnungslosen Menschen die Gewalt untereinander eskalieren lassen", sagt die stellvertretende Geschäftsführerin Werena Rosenke.

Doch die Bundesarbeitsgemeinschaft nennt auch eine Tätergruppe, die durch besonders grausame Gewalt gegen Obdachlose auffällt: Rechtsextremisten. Von den mindestens 179 Todesopfern rechter Gewalt seit 1989 hätten rund 20 Prozent auf der Straße gelebt.

"Sozialdarwinismus war und ist bis heute ein immer wieder auftauchendes Moment rechter Ideologie", sagte die Grünen-Abgeordnete Monika Lazar dem epd. Auch die Bundesregierung bestätigt, dass Obdachlose Opfer der rechtsextremen Ideologie vom "minderwertigen Leben" und vom "Recht des Stärkeren" werden.

Delikte gegen Obdachlose seien häufig von Hass und äußerster Brutalität gekennzeichnet, erklärte Lazar. In mehreren Fällen schlossen die Gerichte aufgrund der exzessiven Gewaltausübung gegen die Opfer auf einen "sozialdarwinistischen" und damit rechtsextremen Tathintergrund. Im Fall des im Juni 2012 bestialisch gequälten und schließlich getöteten Klaus-Peter Kühn urteilte etwa das Landgericht Meinigen, die Täter hätten den Mann "nicht mehr als Mensch wahrgenommen".

Gegen die Schwächsten unserer Gesellschaft

Belastbare Zahlen über politisch motivierte Tötungsdelikte gegen Obdachlose gibt es nicht. Das ergab eine Anfrage der Grünen an die Bundesregierung. Nach Einschätzung der BAGW offenbart sich der politische Hintergrund eines Gewaltdelikts gegen Obdachlose oft erst während der Gerichtsverhandlung.

"Gewalt gegen Obdachlose" sei kein Gegenstand einer systematischen empirischen Untersuchung, teilte das Bundeskriminalamt (BKA) dem epd mit. Rosenke kritisierte, dass die Bundesregierung die schon im Jahr 2001 getroffene Vereinbarung, Hassdelikte - also Delikte, die beispielsweise gegen die politische Einstellung, Hautfarbe oder den gesellschaftlichen Status einer Person gerichtet sind - gesondert zu erfassen, nicht umsetze.

Dabei könnten Straftaten, die aufgrund des gesellschaftlichen Status' der Opfer begangen wurden, gesondert erfasst werden. "Die Bundesregierung misst hier mit zweierlei Maß", kritisierte Lazar. So könne sie Angaben dazu machen, wie viele Polizisten aufgrund ihrer "gesellschaftlichen Stellung" Ziel eines Hassdelikts werden - bei Wohnungslosen könne sie dies jedoch nicht, auch wenn es sich um denselben Datensatz handle. "Tötungsdelikte gegen Obdachlose sind Tötungsdelikte gegen die Schwächsten der Schwachen in unserer Gesellschaft", sagte die Politikerin. "Da erwarte ich von der Bundesregierung schon eine der Sache angemessene Sensibilität und Gründlichkeit."


Quelle:
epd