"Vater, wohin gehst Du?" Die Worte schossen Nikolaus Groß während einsamer Monate in Einzelhaft immer wieder durch den Kopf. Seine noch nicht fünfjährige Tochter Leni hatte die bange Frage gestellt, als an einem Wochenende Männer in langen dunklen Ledermänteln auftauchten, den Vater abführten und in einer schweren Limousine davonbrausten.
Am 12. August 1944, gut drei Wochen nach dem Scheitern des Attentats auf Hitler, hatte die Gestapo auch den christlichen Gewerkschafter und gelernten Bergmann als Mitwisser des Umsturzplans festgenommen. Wohin würde sein Lebensweg führen? Bis zuletzt gab Groß die Hoffnung auf Freiheit nicht auf. Nachdem aber das Todesurteil gefällt war, ging er gefasst seinen Weg. Vor 75 Jahren - am 23. Januar 1945 - wurde Nikolaus Groß in Berlin-Plötzensee hingerichtet.
Vom Kohlenhauer zum Chefredakteur
Sein Lebensweg könnte dem Musterbuch des christlichen Gewerkschafters entnommen sein. Er wurde in Niederwenigern im Ruhrgebiet geboren und begann nach dem Besuch der Volksschule die Ausbildung in einem Blechwalzwerk. Später absolvierte er eine Lehre zum Kohlenhauer. 1917 trat er dem Gewerkverein Christlicher Bergarbeiter Deutschlands bei, im Jahr darauf der Deutschen Zentrumspartei.
Drei Jahre später begann ein neuer Lebensabschnitt. Groß wechselte von der Arbeit unter Tage an den Schreibtisch eines Gewerkschaftsfunktionärs. Der strebsame junge Mann, der jede Möglichkeit zur Fortbildung wahrnahm, wurde nach Bewährung in der Jugendarbeit schon bald in die Zentrale der christlichen Gewerkschaften nach Essen berufen und mit Tarifverhandlungen unter den heiklen Bedingungen einer galoppierenden Geldentwertung betraut. 1923 heiratete er Elisabeth Koch, mit der er sieben Kinder aufzog.
1927 fand Groß seinen Traumjob. Er wurde in die Redaktion der "Westdeutschen Arbeiter-Zeitung" berufen, die er bald als Chefredakteur leitete. Das Verbandsorgan der katholischen Arbeiter- und Knappenvereine im deutschen Nordwesten erreichte Mitte der 20er Jahre eine Auflage von rund 170.000 Exemplaren. Gemeinsam mit dem geistlichen Vorsitzenden, Präses Otto Müller, und dem Verbandssekretär Bernhard Letterhaus lenkte Groß aus der Gewerkschaftszentrale Kettelerhaus in Köln den Kurs der Katholischen Arbeiterbewegung.
Unbeirrt führte Groß den publizistischen Abwehrkampf gegen die "Todfeinde" der Republik: Kommunisten und Nationalsozialisten. Immer wieder predigte er unter Berufung auf die Fuldaer Bischofskonferenz seinen Lesern, dass der Nationalsozialismus zu "fundamentalen Wahrheiten des Christentums in schroffem Gegensatz steht". Nicht ohne Stolz stellte der Gewerkschafter noch 1932 fest, dass den Nazis nur der Einbruch in die kommunistisch, nicht aber in die christlich und sozialdemokratisch organisierte Arbeiterschaft gelungen sei. Drei Monate später kam Hitler an die Macht.
Zehntausende katholische Arbeiter im Kölner Dom
Bis dahin hatte Groß als Publizist eine klare und eindeutige Sprache gepflegt. Unter der rüden Aufsicht des Propagandaministeriums entwickelte er ein feinsinniges Geschick, seinen Lesern Botschaften verschlüsselt mitzuteilen. So antwortete er auf Verfolgungen jüdischer Mitbürger, indem er an ihre patriotischen Verdienste als Frontsoldaten im Ersten Weltkrieg oder an die alttestamentliche Verwurzelung des Christentums erinnerte.
Und Groß erreichte seine Leser. Wenn sich zum Dreikönigstreffen am 6. Januar Zehntausende katholischer Arbeiter im Kölner Dom versammelten, war dies eine politische Demonstration, die vom Regime verstanden wurde: Von einem Großteil der katholischen Presse werde ein "dauernder heimlicher Kampf gegen den Nationalsozialismus" geführt, urteilte Reinhard Heydrich, Chef der Sicherheitspolizei.
Der aktive Widerstand von Groß gegen die NS-Diktatur musste zu seiner Verhaftung führen. "Er schwamm mit im Verrat, muss folglich auch darin ertrinken", schrieb der Vorsitzende des Volksgerichtshofs, Roland Freisler, ins Todesurteil. Die Leiche von Groß wurde verbrannt und die Asche verstreut. Am 7. Oktober 2001 sprach ihn Papst Johannes Paul II. als christlichen Märtyrer selig und erhob ihn damit zum Vorbild des Glaubens.
Von Anselm Verbeek