Zusammenhalt in Magdeburg bleibt nach Weihnachtsmarkt-Anschlag stark

"Menschen stellen ihre Hilfe und ihre Kraft zur Verfügung"

Nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Magdeburg ist die Stadtgemeinschaft enger zusammengerückt. Superintendent Stephan Hoenen berichtet von Zeichen der Solidarität und der besonderen Rolle der Kirche in dieser schweren Zeit.

Autor/in:
Katharina Geiger
Menschenkette zum Gedenken an die Opfer und Betroffenen des Anschlags auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt. / © Sebastian Willnow (dpa)
Menschenkette zum Gedenken an die Opfer und Betroffenen des Anschlags auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt. / © Sebastian Willnow ( dpa )

DOMRADIO.DE: Wie erleben Sie den Zusammenhalt der Menschen in diesen Tagen in Magdeburg? 

Stephan Hoenen (Superintendent im evangelischen Kirchenkreis Magdeburg): Nach diesem dunkelsten und traurigsten Tag in der jüngeren Geschichte hier in Magdeburg kann ich erleben, wie Menschen zueinander stehen. Damit meine ich nicht nur die professionelle Hilfe, die geleistet wurde, sondern Menschen, die einfach ihre Hilfe und ihre Kraft zur Verfügung stellen und beieinander sind. Und das macht sich in der Stadt spürbar bemerkbar. 

DOMRADIO.DE: Ist dieser sichtbare Zusammenhalt auch ein Zeichen gegen extreme Ansichten und gegen antidemokratische Tendenzen? 

Stephan Hoenen

"Durch die menschliche Kraft zum Guten stehen wir zusammen."

Hoenen: Es ist auf jeden Fall ein Zeichen dafür, dass durch die Stille und durch die Gemeinschaft, die im Kleinen wie im Großen entsteht, die Gräben nicht vertieft werden. Ich denke da ganz konkret an die Menschenkette einen Tag vor Heiligabend, wo Tausende um das Areal des Alten Marktes, wo der Weihnachtsmarkt stattgefunden hat, zusammengestanden haben, mit Kerzen in den Händen und in der Stille miteinander verbunden. Das war eine Menschenkette, die war nicht nur zwei- und dreifach, die war an den Stellen, wo ich zum Beispiel gestanden habe, zehnfach, weil einfach so viele Leute da waren, die das zum Ausdruck bringen wollten. 

DOMRADIO.DE: Kann aus diesem Zusammenhalt Kraft entstehen, so wie es der Bundeskanzler sagt?

Hoenen: Auf jeden Fall. Ich denke, es gibt immer wieder Menschen, die sich der Ohnmacht nicht ergeben, die sich der Trostlosigkeit widersetzen, sodass wir durch die menschliche Kraft zum Guten zusammenstehen, Offenheit untereinander pflegen und Menschen wieder neuen Lebensmut geben. Ich denke, das ist wirklich das, was wir uns für 2025 auf die Fahnen schreiben können, wo ich auch optimistisch und hoffnungsvoll bin, dass uns das gelingt. 

Stephan Hoenen

"Ich denke, wir als Kirche haben einen guten Ort in unseren Kirchen."

DOMRADIO.DE: Auf den Bildern, die wir aus Magdeburg sehen, sehen wir den großen Blumenteppich vor der Johanniskirche. Merken Sie das auch, dass die Menschen jetzt vermehrt zur und in die Kirche gehen? 

Hoenen: Das berührt sehr, dass dieser riesige Blumenteppich mit Blumen, mit Kerzen, mit Kuscheltieren - weil auch Kinder vom Anschlag betroffen sind, ein Junge wurde getötet - dabei sind. Ich habe gemerkt, bei dem Weihnachtsgottesdienst, den ich selbst gehalten habe, dass die Menschen berührt sind. 

Es wurde neben dem Weihnachtslicht auch Lichter des Gedenkens entzündet in den Gottesdiensten. Ich denke, die Menschen sind da sehr ansprechbar in diesem Jahr. Und das haben wir auch bei dem Gedenkgottesdienst gleich 24 Stunden nach dem Anschlag im Magdeburger Dom beim ökumenischen Gottesdienst gespürt. Da kamen ja Tausende dazu, der Domplatz draußen war voll, der Dom war voll. Ich denke, wir als Kirche haben einen guten Ort in unseren Kirchen. Wir haben ausgebildete Menschen, Seelsorgerinnen und Seelsorger. Die ansprechen, was ist, aber auch Trost geben können. 

Stephan Hoenen

"Wir haben die ausgebildeten Seelsorgerinnen und Seelsorger."

DOMRADIO.DE: Welche Rolle kann Kirche in einer solchen Situation spielen? 

Hoenen: Wir sind Teil der Stadtgesellschaft, das wird ganz deutlich. Wir öffnen unsere Kirchentüren nicht nur zu Gottesdiensten, sondern sind auch sonst offen, damit die Menschen Orte finden, um Kerzen anzuzünden. Auch solche Gesten sind wichtig, auch in den Kirchenräumen. Und auch mit den Worten der Verkündigung erreichen wir die Menschen ganz besonders. 

Wir haben die ausgebildeten Seelsorgerinnen und Seelsorger. Das sind Notfallseelsorger, aber auch geistliche Seelsorgerinnen und Seelsorger, die mit den Menschen über diesen Tag des Anschlags hinaus im Gespräch bleiben. 

Das Interview führte Katharina Geiger.

Todesfahrt von Magdeburg - Was bekannt ist

Fünf Menschen sind tot, 200 verletzt: Nach der folgenschweren Fahrt mit einem Auto über den Weihnachtsmarkt in Magdeburg muss der Tatverdächtige in U-Haft. Die Suche nach seinem Motiv steht im Fokus.

Die Staatsanwaltschaft Magdeburg beantragte einen Haftbefehl gegen den 50-Jährigen. Er müsse wegen des Vorwurfs fünffachen Mordes, mehrfachen versuchten Mordes und mehrfacher gefährlicher Körperverletzung in Untersuchungshaft, teilte die Polizei am frühen Sonntagmorgen mit.

Nach Todesfahrt auf Weihnachtsmarkt in Magdeburg: Menschen legen Blumen und Kerzen an der Johanniskirche nieder / © Jan Woitas (dpa)
Nach Todesfahrt auf Weihnachtsmarkt in Magdeburg: Menschen legen Blumen und Kerzen an der Johanniskirche nieder / © Jan Woitas ( dpa )
Quelle:
DR