Pell (78) war im Dezember von einem Geschworenengericht für schuldig befunden worden, 1996 als Erzbischof von Melbourne einen 13 Jahre alten Jungen missbraucht und einen anderen belästigt zu haben. Im März wurde er deshalb zu sechs Jahren Haft verurteilt. Der ehemalige Finanzchef des Vatikan bestreitet dies und ging in Berufung.
Das Gericht kündigte an, die Urteilsverkündung live über seine Website zu übertragen. Pell befindet sich seit März im Gefängnis. Rechtsexperten räumen ihm gute Chancen ein, mit dem Urteil nächste Woche auf freien Fuß zu gelangen. Er ist der ranghöchste katholische Geistliche weltweit, der wegen Kindesmissbrauchs verurteilt wurde. Im Berufungsprozess kritisierten Pells Anwälte die dünne Beweislage; der Kardinal sei lediglich auf Basis der Aussage eines der mutmaßlichen Opfer verurteilt worden.
Dagegen hätten die Geschworenen 20 entlastende Zeugen außer Acht gelassen. Zudem sei es Pells Praxis gewesen, Gemeindemitglieder direkt nach der Messe zu begrüßen und nicht in die Sakristei zurückzukehren, in der die Missbrauchstaten geschehen sein sollen. Demgegenüber argumentierte die Staatsanwaltschaft, die Beweise des mutmaßlichen Opfers seien so weitgehend, dass die Jury zweifelsfrei von Pells Schuld überzeugt gewesen sei.
Verstoß gegen Gefängnisregeln?
Der Erzbischof von Melbourne, Peter Comensoli, berichtete am Mittwoch, er habe seinen Vorgänger vor etwa zwei Monaten im Gefängnis besucht. Pell sei "in Erwartung" des Berufungsurteils, "aber ich fand ihn geistig stark, ruhig und sehr gesprächig", sagte Comensoli dem Sender ABC Melbourne.
Die Behörden untersuchen auch, ob ein Online-Brief, den Pell vergangene Woche offenbar an Anhänger geschickt hat, gegen die Gefängnisregeln verstößt. Das Justizministerium in Melbourne hatte am Samstag Ermittlungen wegen des auf Twitter veröffentlichten Briefes eingeleitet. Häftlingen sei es nicht erlaubt, etwas in Sozialen Medien zu posten oder andere um Postings in ihrem Namen zu bitten. Eine Gruppierung namens "Unterstützer von Kardinal George Pell" hatte das Schreiben auf Twitter hochgeladen.