Fasten liegt im Trend. Zu den Verzicht-Klassikern zählen Süßigkeiten, Nikotin und Alkohol. Aber auch andere Formen werden immer beliebter, darunter Vorhaben, jeden Tag Sport zu machen, kein Facebook zu nutzen oder das Auto stehen zu lassen.
Mittel zu einem guten Leben
Zur Motivation sagt der Freiburger Philosoph Andreas Urs Sommer: "Seit dem Altertum versucht der Mensch, sich über Selbstbeschränkung zu kontrollieren." Ein solcher Verzicht sei oft von einer religiösen Weltsicht umrahmt. "Religiöses Fasten braucht einen Überbau, der über das eigene Tun hinausweist", sagt Sommer.
Aber auch abseits religiöser Fastengebote boomt die Idee vom Verzicht. In Buchhandlungen türmen sich Ratgeber wie "Fasten. Auszeit für Körper, Geist und Seele" oder "Wie neugeboren durch Fasten". Und im Fernsehen buhlen Anbieter von Super-Food, Sportzubehör und Abnehmprodukten um den Konsumenten. Verzicht wird als Mittel zu einem guten Leben angepriesen - mit Erfolg.
Sekundäres Fasten als Selbstkontrolle
Jeder dritte Deutsche hat schon einmal gefastet, berichtet das katholische Entwicklungshilfswerk Misereor, das seit 60 Jahren jedes Jahr eine eigene Fastenaktion startet. Laut einer aktuellen Umfrage wollten die meisten Befragten einen gesünderen Lebensstil, eine Gewichtsabnahme oder Entschlackung erreichen. Etwa ein Viertel wolle aber auch andere Gewohnheiten infrage stellen.
Fasten als Gesundheits- und Lifestyle-Projekt - diese Tendenz sieht auch Sommer. Das säkulare Fasten sei primär auf den eigenen Körper bezogen. Es gehe nicht nur darum, sich selbst im Griff zu haben, sondern diese Selbstkontrolle auch anderen zu demonstrieren. "Indem ich verzichte, zeige ich, dass ich Herr im eigenen Haus bin", sagt der Philosoph.
Religiöses Fasten als Selbstoptimierung
Für den Bonner Moraltheologen Jochen Sautermeister ist das eine problematische Motivation. "Schwierig wird es, wenn der tiefere Sinn von Fasten aus dem Blick gerät," meint der katholische Theologe. Dann bestehe die Gefahr, dass der Verzicht sich verselbstständige und ungesunde Formen annehme, in Extremfällen sogar in Essstörungen münde.
"Manche Verzichtsformen tragen spirituelle Züge und helfen, klarer zu sehen oder innerlich frei zu werden", erklärt Sautermeister. Richtig verstanden könne ein solches Heilfasten der Gesundheit dienen. Der Theologe hat viel übrig für religiöses Fasten. "Das darf aber nicht mit Selbstoptimierung verwechselt werden." Beim religiösen Fasten reflektiere der Einzelne, was ihn "im Alltag in Beschlag nimmt". Es gehe um Umkehr, Vorbereitung und Konzentration auf das Wesentliche, Lebensbejahung - und eine Ausrichtung auf Gott.
Keine überhöhte Vorstellung vom Verzicht
Philosoph Sommer kritisiert manche überhöhte Vorstellung vom Verzicht: "Vieles was heute mit Fasten verbunden wird, war nicht ursprünglich darin angelegt." Aspekte wie die innere Mitte zu finden, den Körper zu reinigen oder sich selbst zu finden seien moderne Fastenattribute. Außer dem Grundmotiv "Verzicht" habe das wenig mit dem religiösen Fasten gemein.
Vielmehr gelte, so Sommer weiter: "Wir sehen uns selbst als etwas, das wir unternehmerisch formen und gestalten müssen." Natürlich wirke im Hintergrund die moderne Leistungsgesellschaft. Von gesellschaftlichem Druck könne aber nicht gesprochen werden: "Es gibt Hamsterräder, aber die sind nicht dominierend."
Trend zu Maßlosigkeit und Überfluss
Problematisch sei es aber, "wenn Schönheitsideale die Menschen unter Druck setzen", betont Sautermeister. Dann werde ein ungesundes Verhalten gefördert, etwa beim Thema Magersucht. Inzwischen lasse sich aber eine gewisse gesellschaftliche Kritik solcher Extreme beobachten.
Der Theologe macht noch auf einen anderen Aspekt aufmerksam: auf einen Trend zu Maßlosigkeit und Überfluss. Eine Gegenbewegung dazu sei gesellschaftlich notwendig und positiv zu bewerten. "Allerdings sind wir dann nicht mehr beim Fasten, sondern bei einer nachhaltigen Lebensführung", so Sautermeister.
Anna Fries