Joe Biden, 46. Präsident der Vereinigten Staaten, ist diesen Freitag im Vatikan. Das erst zweite katholische Staatsoberhaupt in den USA trifft mit dem Heiligen Vater und damit mit dem Oberhaupt seiner eigenen Glaubensgemeinschaft zusammen. Diese private Audienz ist jedoch keine besondere Geste an den Katholiken Biden. Vielmehr steht die Visite in der Reihe einer langen Liste historischer Begegnungen zwischen Päpsten und US-Präsidenten. Mittlerweile sind bereits 14 verschiedene "Men in Charge" mit einem Papst zusammengetroffen, angefangen von Woodrow Wilson, der 1919 in den damals noch politisch isolierten Kirchenstaat reiste, um von Papst Benedikt XV. empfangen zu werden.
In der Vergangenheit bargen diese Unterredungen nicht selten Konfliktpotential, ja wurden oftmals politisch missbraucht oder medial verrissen. Als etwa Donald Trump das katholische Kirchenoberhaupt im Jahr 2017 traf, wurde die versteinerte Miene des Nachfolgers Petri als Sinnbild der eisigen Stimmung zwischen Franziskus und Trump gesehen. Zu weit lagen die politischen und gesellschaftlichen Positionen der beiden auseinander, der damals neue US-Präsident hatte sich auch öffentlich mehrmals explizit gegen Papst Franziskus gestellt, teilweise auf offenen Konfrontationskurs mit Bischöfen in den USA gegangen und weiter seine Politik vorangetrieben.
Papst und Präsident
Mit Biden verbindet den Papst mehr. Da waren beispielsweise persönliche Gespräche aus der Zeit, in der Biden noch Vizepräsident war. Unvergessen aber auch jene Begegnung, kurz nachdem Joe Bidens Sohn Beau an Krebs gestorben war: 2015 traf Papst Franziskus bei seinem USA-Aufenthalt kurz vor dem Abflug in Philadelphia spontan mit der gesamten Trauerfamilie der Bidens zusammen und sprach ihr seinen Trost zu. Biden nannte dies später mehrmals das "spirituell beeindruckendste Erlebnis" für ihn.
Gleichzeitig aber verbinden die beiden ihre Positionen in der Flüchtlingsfrage, ihr Kampf in der Klimakrise und die Sorge um die ständig zunehmende soziale Ungerechtigkeit. Das sind nur wenige Themen, in denen die beiden Männer auf einer Linie stehen. Man kann davon ausgehen, dass beide auch gezielt in diesen Punkten eine weitere Zusammenarbeit ins Auge fassen und auf die Unterstützung des jeweils anderen hoffen.
Katholisches Konfliktpotential
Trotzdem dürfte sowohl Joe Biden als auch Papst Franziskus klar sein, dass die Person Bidens bzw. Teile seiner Politik durchaus Konfliktpotential in sich tragen: Die offenen Auseinandersetzungen der US-Regierung mit dem Bundesstaat Texas und dessen restriktivem Abtreibungsverbot ließen die Wogen in weiten Teilen der US-Gesellschaft wieder neu hochgehen. Zudem arbeitet die US-Bischofskonferenz an einem Dokument über die Eucharistie, in das mehrere Bischöfe gerne ein Votum für Kommunionverbot für solche Politiker aufnehmen möchten, die liberale Abtreibungsgesetze befürworten. Dass diese Stoßrichtung besonders Joe Biden in den Blick nimmt, ist ein offenes Geheimnis.
Präsident Biden ist innerhalb der katholischen Kirche umstritten. Es gibt weite Teile in der Kirchenleitung, aber auch bei einfachen Gläubigen, die sich gegen ihn stellen. Für viele Menschen repräsentiert Joe Biden das, was man von der "liberalen Politik" befürchtet: Eine Abkehr von traditionellen Werten. Biden ist damit eine Reizfigur, auch in Rom: Dessen ist sich Papst Franziskus sicherlich bewusst – einerseits aus (kirchen-)politischen Gründen, aber auch aufgrund seiner persönlichen Ablehnung von Abtreibung und seinen Einsatz für einen umfassenden Lebensschutz am Beginn und Ende des Lebens. Papst Franziskus hat in diesen Fragen nie einen Hehl daraus gemacht, dass für ihn das menschliche Leben über allem steht. Der unbedingte Schutz der menschlichen Existenz ist ein Dauerthema für den Pontifex. Dass hier nun der Präsident eines Landes auftritt, in dem ein offener Konflikt um Abtreibung und Todesstrafe herrscht, macht die Lage natürlich problematisch.
Eine neue Allianz?
Die Tatsache, dass kurz vor dem Treffen die mediale Begleitung und Berichterstattung stark eingeschränkt wurde, könnte ein Hinweis darauf sein, dass man in Rom die Stimmung nicht weiter anheizen möchte. Vom gegenwärtigen Standpunkt her kann man nur wenig Zweifel daran haben, dass die beiden die gemeinsamen Themen vor die trennenden stellen werden. Sie brauchen einander: Einerseits als politisches Gewicht, gleichzeitig aber auch als symbolische Größe von Autorität. Dies macht dieses Treffen zwischen dem gläubigen Joe Biden und Papst Franziskus zu einer strategischen Angelegenheit. Es geht um mehr als Glaube, Spiritualität oder Politik. Es geht hier um die Suche nach einer gemeinsamen Haltung in gesellschafts- und zukunftsgestaltenden Themen. Hier wird bei vielen Fragen eine Allianz neu begründet, die unter Donald Trump aufgekündigt worden war. Das ist für beide wichtig. Gleichzeitig wird man aber wohl vergeblich darauf warten, dass trennende Momente – selbst wenn sie in diesem Gespräch angesprochen werden – an die Oberfläche gelangen. Dieses Verschweigen jedoch löst sie nicht. Und so wird auch dieses Treffen zwischen Papst und Präsident von vielen Beobachtern mit jeweils anderen Augen gelesen werden und in den jeweiligen Auseinandersetzungen innerhalb von Politik und Kirche gelesen werden.
Joe Biden und Papst Franziskus im Vatikan – ein religionspolitisches Treffen mit viel Symbolkraft. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Andreas G. Weiß
Zum Autor: Dr. Andreas G. Weiß ist Theologe, Direktor-Stellvertreter am katholischen Bildungswerk in Salzburg und seit langen Jahren USA-Experte.