Indien in den 1920er Jahren: Das Land ist eine Kolonie, die von der britischen Krone ausgebeutet wird. Baumwolle und Tee werden angebaut anstelle von Grundnahrungsmitteln. Die Mehrheit der Menschen lebt in Armut. Zudem teilt ein strenges Kastenwesen die Gesellschaft ein. Wer in eine Kaste geboren wird, verbleibt darin ein Leben lang. Und die, die außerhalb dieses Systems stehen, gelten als Unberührbare, als Ausgestoßene. In dieses Indien kommt Mutter Teresa schon in jungen Jahren, zwischen dem Elend verspürt sie ihre wichtigste Berufung.
"Während ihrer langen Zugfahrt hörte sie in ihrem Herzen ganz deutlich das Wort Jesu. "Mich dürstet!" Sie hörte es mit einer ganz starken Intensität und spürte in ihrem Herzen die überwältigende Liebe Gottes für sie."
Fortan will sie den Ärmsten dienen. Sie entschließt sich selbst, ein Leben in Armut zu führen und ganz auf Gottes Führung zu bauen.
Ein Leben im Zeichen des Glaubens
Als Agnes Gonxha Boxajhiu wird Mutter Teresa am 26. August 1910 in Üsküb geboren, dem heutigen Skopje in Mazedonien. Sie wächst in einer religiösen Familie auf. Schon im Alter von zwölf Jahren entscheidet sie sich für ein Leben als Ordensfrau. Mit 18 tritt sie in den irischen Loreto-Orden ein und geht als Novizin nach Indien. Sie nimmt den Namen Teresa an und kümmert sich fortan um die Ärmsten, denen es nicht nur an Essen, Kleidung und einem Obdach mangelt.
"Die Menschen hungern nach Liebe", sagt sie. Die Ärmsten führen ein Leben in Einsamkeit, in dem Gefühl, ungewollt zu sein. Niemand kümmert sich um sie. Mutter Teresa geht zu den Kranken, den Sterbenden, den Ausgestoßenen, erinnert sich ihr langjähriger Weggefährte, Monsignore Leo Maasburg: "Es war sehr beeindruckend, wenn man Mutter Teresa in das Haus für die Sterbenden begleitet hat, wie sie mit den Leuten dort umgegangen ist. Sie hat für jeden im Vorbeigehen ein kurzes Wort, eine Berührung, ein Streicheln gehabt, und man hat gespürt, mit welcher Zuwendung und welcher Liebe - und wie wichtig diese Leute für sie waren."
Unerhört in einem Land, dessen Gesellschaft durch ein strenges Kastenwesen geregelt ist, erklärt Gregor Federhen, Indien-Referent des Internationalen Kolpingwerkes: "Das war ja das Revolutionäre oder Visionäre, für das Mutter Teresa heute in Indien auch so verehrt wird, dass sie sich als erste diesen Armen gegen alle Konvention, gegen alle kulturellen Vorurteile zugewendet und sich den Sterbenden, den Leprakranken gewidmet hat. Das war für die damalige Zeit sehr, sehr ungewöhnlich."
Mitte der vierziger Jahre gründete sie die "Missionarinnen der Nächstenliebe", die 1950 offiziell vom Papst als Orden anerkannt werden. Mit besonderer Hingabe widmen sie sich den Leprakranken, die wegen der hohen Ansteckungsgefahr wie Aussätzige behandelt werden.
Ein Vorbild - nicht für alle
Mit ihrer Arbeit gilt Mutter Teresa vielen als Vorbild. Sie wird jedoch auch kritisiert. Mediziner bemängeln die hygienischen Verhältnisse in ihren Häusern und die mangelhafte medizinische Ausbildung der Schwestern. Und später, nach ihrem Tod, wurde bekannt, dass die fromme Frau an tiefen Glaubenszweifeln litt. Selbst ihrem Weggefährten Father Leo waren sie verborgen geblieben: "Angemerkt hat man ihr gar nichts. Vielleicht könnte man sagen, wenn sie allein war und unbeobachtet, dann war sie sehr ernst. Sie war sich gegenüber, sehr diszipliniert und streng - sehr gütig und großzügig mit allen anderen.
1979 erhält die kleine Frau mit dem blau-weißen Sari den Friedensnobelpreis. Mutter Teresa stirbt am 5. September 1997 mit 87 Jahren in Kalkutta. Bereits sechs Jahre später, im Jahr 2003, wird sie von Papst Johannes Paul II. selig und 2016 von Papst Franziskus heilig gesprochen. In einem der kürzesten Verfahren der Kirchengeschichte. Ihre Botschaft lebt bis heute weiter.
Msgr. Maaskrug: "Wenn wir heute zurückblicken und uns fragen: Was ist die wesentliche Botschaft, die Mutter Teresa uns gegeben hat? Dann würde sie selbst sicher gesagt haben: Das Wichtigste ist, dass wir verstehen, dass wir alle von Gott geliebt sind, dass wir alle dazu geschaffen sind, zu lieben und geliebt zu werden."
Ina Rottscheidt