Misereor-Umweltexpertin über die UN-Naturschutzkonferenz - Umweltschutzverbände kritisieren "Schneckentempo"

"Das Scheitern ist abgewendet"

In Bonn endet heute die neunte UN-Weltnaturschutzkonferenz. Seit dem 19. Mai diskutierten mehr als 5000 Experten aus 191 Staaten, wie es um die Umsetzung der 1993 in Kraft getretenen UNO-Konvention zur Artenvielfalt bestellt ist. Misereor-Umweltexpertin Mute Schimpf hat die Verhandlungen im Auftrag des Bischöflichen Hilfswerks begleitet. Eine Bilanz.

Autor/in:
Joachim Heinz
 (DR)

KNA: Frau Schimpf, Bundeskanzlerin Angela Merkel will ab 2013 jährlich eine halbe Milliarde Euro für den Wald- und Artenschutz in der Welt ausgeben. Ist das die ersehnte Wende im Umgang mit den natürlichen Ressourcen?

Schimpf: Mit dieser Ankündigung auf der UN-Naturschutzkonferenz hat die Bundeskanzlerin sicherlich ein deutliches Signal in die richtige Richtung gesetzt. Schließlich hatten die ärmeren Länder die reichen Industrienationen in der Vergangenheit immer wieder dazu aufgefordert, endlich einmal Geld auf den Tisch zu legen.

KNA: Aber?

Schimpf: Aber das allein reicht nicht aus. Aus entwicklungspolitischer Sicht müssen bei der Einrichtung von Naturparks und Schutzgebieten von Beginn an die Menschen vor Ort an der Planung und Umsetzung beteiligt werden. Nur so kann der Erhalt von Ökosystemen wirklich funktionieren. Es ist deswegen ein echter Erfolg, dass eine entsprechende Bestimmung Einzug in das Arbeitsprogramm für die Einrichtung von Schutzgebieten gefunden hat.
Die Belange der indigenen Gemeinschaften, mit denen wir zusammenarbeiten, können auf diese Weise besser gewahrt werden.

KNA: Gilt das positive Urteil auch für andere Bereiche?

Schimpf: Leider nicht. Im Agrarsektor konnten beispielsweise keinerlei Fortschritte erzielt werden. Anstatt die biologische Vielfalt bei Nutzpflanzen und -tieren zu fördern, ist es bei netten Absichtserklärungen geblieben. So werden zum Beispiel die Futtertröge von Schweinen und Hühnern in Europa wohl weiterhin mit Soja aus Südamerika gefüllt. Der Anbau von Sojabohnen ist jedoch eine der Hauptursachen für die Zerstörung der Regenwälder in Brasilien und Paraguay. Dabei könnte durch den Anbau von Bohnen und Erbsen auf deutschen Feldern als Soja-Ersatz die Vielfalt in der einheimischen Landwirtschaft gefördert und gleichzeitig der Verlust von weiteren Waldflächen verhindert werden. Hierzu wäre jedoch ein echter Paradigmenwechsel nötig gewesen - was nicht zuletzt am Widerstand der Agrarlobby gescheitert ist.

KNA: Wirtschaftliche Interessen dürften auch bei der Diskussion um die sogenannte Biopiraterie eine Rolle gespielt haben.

Schimpf: Erklärte Absicht der Artenschutzkonvention war es von Anfang an, auch die Herkunftsländer pflanzlicher Rohstoffe an den Gewinnen zu beteiligen, die sich beispielsweise durch deren Einsatz in der pharmazeutischen Industrie ergeben. Es geht um ein gigantisches Geschäft: Über die Hälfte aller Medikamente weltweit werden auf biologischer Basis hergestellt. Die meisten dafür benötigten Substanzen stammen von der südlichen Erdhalbkugel. Mitte der 90er-Jahre haben deswegen viele Entwicklungsländer gesetzliche Regelungen erlassen, um an den Erlösen zu partizipieren. Problem ist, dass es bislang in keinem einzigen Industrieland vergleichbare Bestrebungen gab.

KNA: Und das soll nun nach Bonn anders werden?

Schimpf: Zumindest gibt es erstmalig eine von allen Staaten getragene Vereinbarung, dass es völkerrechtlich verbindliche Absprachen zu diesem Komplex geben kann. Aber bis dahin war es ein weiter Weg. Mit Hängen und Würgen wurde diese immer noch sehr vage Formulierung akzeptiert. Eigentlich geht es um eine Selbstverständlichkeit: Bevor der Zugang zu natürlichen Ressourcen gewährt wird, muss das Einverständnis der betroffenen Länder vorliegen. In Deutschland geht ja auch niemand in einen fremden Obstgarten, erntet dort die Apfelbäume ab, um dann dem Besitzer eventuell in einigen Jahren eine Gebühr zu zahlen.

KNA: Euphorie ist also fehl am Platze?

Schimpf: Das Scheitern ist abgewendet worden. Erst als die Gruppe der "mega-diversen Staaten", also der Länder mit besonders großer Artenvielfalt, mit dem Abbruch der Gespräche drohte, kam überhaupt Bewegung in die Verhandlungen. Jetzt bleiben gerade einmal anderthalb Jahre Zeit, um ein internationales Regelwerk auszuarbeiten. Denn 2010 steht bereits die nächste UN-Naturschutzkonferenz im japanischen Nagoya an.

KNA: Glauben Sie, dass Nagoya an die in Bonn erzielten Fortschritte anknüpfen kann?

Schimpf: Ich hoffe es. Allerdings gehörte Japan gerade in der Debatte um zusätzliche Schritte im Kampf gegen die Biopiraterie zu den hartnäckigsten Verteidigern des Status Quo.

Die auch von Deutschland ratifizierte Vereinbarung soll den Erhalt der biologischen Vielfalt und ihre nachhaltige Nutzung gewährleisten. Damit soll auch ein gerechter Vorteilsausgleich aus der Nutzung der biologischen Vielfalt gewährleistet werden. Seit Mittwoch sind auch Minister und Regierungsvertreter aus rund 200 Ländern in die Gespräche eingebunden.

Im Rahmen der Konferenz hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ein verstärktes Engagement Deutschlands für den Schutz bedrohter Lebensräume angekündigt. So werde die Bundesrepublik von 2009 bis 2012 zusätzlich 500 Millionen Euro für den internationalen Wald- und Artenschutz zur Verfügung stellen. Ab 2013 werde jährlich eine halbe Milliarde Euro für diesen Zweck aufgebracht.

"Staatengemeinschaft im Schneckentempo"
Umweltschutzverbände bezeichneten Merkels Ankündigung als wichtiges Signal, dem aber weitere Maßnahmen zum Schutz bedrohter Tier- und Pflanzenarten und deren Lebensräume folgen müssten.

Der Sprecher der Naturschutzorganisation WWF in Deutschland, Ralph Kampwirth, hat die Ergebnisse der Bonner UN-Naturschutzkonferenz als ungenügend bezeichnet. Im Moment bewege sich die Staatengemeinschaft im «Schneckentempo, und so gelingt es uns nicht, das Artensterben aufzuhalten», sagte Kampwirth am Freitag im RBB-Inforadio.

Es mangele für dieses Ziel massiv an Geld: «Wir brauchen bis zu 30 Milliarden Euro im Jahr, um Schutzgebiete weltweit in den Meeren und an Land zu finanzieren.» Bislang würden jährlich lediglich 4 bis 6 Milliarden Euro aufgewendet.