Türkischer Bischof Padovese zieht Zwischenbilanz zum Paulusjahr

"Prüfstein der Toleranz"

Im Juni eröffnete Papst Benedikt XVI. das Paulus-Jahr. Vor allem die Christen in der Türkei knüpften daran die Hoffnung, die Weltöffentlichkeit möge mehr von ihrer prekären Situation erfahren. Denn von der offiziell im Land geltenden Religionsfreiheit spüren sie bisher wenig. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) sprach in München mit dem Vorsitzenden der türkischen Bischofskonferenz, Bischof Luigi Padovese (61), über die Entwicklung in der Türkei.

Herzensanliegen Tarsus: Kardinal Meisner (hier mit seinem im Juni ermordeten Mitstreiter Bischof Luigi Padovese) (KNA)
Herzensanliegen Tarsus: Kardinal Meisner (hier mit seinem im Juni ermordeten Mitstreiter Bischof Luigi Padovese) / ( KNA )

KNA: Herr Bischof, wie sieht zur Halbzeit Ihre Zwischenbilanz des Paulus-Jahres aus?
Padovese: Wir haben mit großem Elan begonnen. Vor allem setzten wir unsere Hoffnung auf die zu erwartende hohe Zahl von Pilgern, die einen genaueren Eindruck von unserer Situation bekommen sollten. Das hat sich erfüllt. Die orthodoxe Kirche schloss sich der Initiative an und beteiligte sich unter anderem an einem Paulus-Symposium. So wie es aussieht, schlägt dieses Jahr eine Brücke zwischen den Kirchen.

KNA: Welche Ziele verbinden Sie mit den orthodoxen Christen?
Padovese: Wir haben die gleichen Probleme. So ist der Staat nach wie vor im Besitz der kirchlichen Güter. Außerdem fehlt uns die Erlaubnis, Priester in eigenen Seminaren auszubilden. Diese Nöte bringen uns zusammen. Von einer formalen Höflichkeit kommen wir allmählich zu einer tieferen Gemeinschaft. Zudem engagiert sich Patriarch Bartholomaios I. sehr für die Ökumene.

KNA: Wie bilden Sie derzeit Ihre Priester aus?
Padovese: Junge Männer, die Priester werden wollen, werden ins Ausland geschickt. Das birgt aber die Gefahr, dass sie nicht mehr in die Türkei zurückkommen. Für eine richtige Inkulturation des Christentums wäre es notwendig, dass die Seminaristen im eigenen Land bleiben. Wir sind hier immer weniger geworden, weil viele ausländische Priester kamen, die mit der Kultur des Landes nicht so vertraut sind. Deshalb muss schnell eine Lösung her.

KNA: Die Zahlen über die Christen in der Türkei variieren. Haben Sie aktuelle?
Padovese: Im Jahr 1927 machten die Christen 20 Prozent der Bevölkerung aus, heute 0,15 Prozent. Da fragt man sich: Wo sind all diese Christen geblieben? Nicht im Ausland, davon bin ich überzeugt. Viele sind untergetaucht, um weiter sicher leben zu können. Schon die Tatsache, dass die Zahl der Christen so abgenommen hat, ist ein Signal, dass etwas mit der offiziell herrschenden Religionsfreiheit nicht stimmen kann.

KNA: Wer Christ ist, traut es sich also nicht laut zu sagen?
Padovese: Das ist unterschiedlich und hängt vom Gebiet ab. Im Norden ist es schwieriger als im Süden, in Istanbul oder Izmir.
Schätzungsweise gibt es zwischen 25.000 und 30.000 Katholiken. Genau kann man es aber nicht sagen. So weiß ich, dass in Kappadokien durchaus Katholiken leben, aber es gibt dort keine Kirche.

KNA: In den vergangenen Jahren kam es zu Übergriffen auf Christen, sogar zu Morden. Werden die Verbrechen verfolgt?
Padovese: Die Behörden haben sich wirklich engagiert. Bis jetzt hatten wir keine Schwierigkeiten, auch nicht mit der Polizei.
Allerdings gibt es innerhalb der bürokratischen Strukturen bestimmte Leute, die die Christen nicht dulden. Für sie gilt das Prinzip: Ein guter Türke muss ein islamischer Sunnit sein. Da bleibt kein Platz für andere.

KNA: Wie beobachten die Muslime die Kooperation der katholischen Kirche mit den orthodoxen Christen?
Padovese: Sie haben sich in Tarsus, der Geburtsstadt des Paulus, mitengagiert. Man wird sehen, ob sie das nur aus wirtschaftlichen Interessen gemacht haben oder weil sie davon überzeugt sind. Viele Behörden in Ankara, Tarsus und Umgebung unterstützen uns in der Forderung, das derzeit als Museum verwendete Gotteshaus künftig als Kirche nützen zu können. Aber eine Entscheidung steht noch immer aus. Vor allem ist nie klar, wer eigentlich dafür zuständig ist.

KNA: Man braucht also viel Geduld?
Padovese: Ja. Diese Sache mit dem Gotteshaus liegt uns aber sehr am Herzen. Sie ist ein Prüfstein der Toleranz. Damit ist die Anerkennung verbunden, dass die Christen respektiert werden.

KNA: Haben Sie sich ein Limit gesetzt?
Padovese: Nein. Aber man sollte jetzt erst einmal bis März warten, weil dann in der Türkei Kommunalwahlen stattfinden. Danach sieht man, welche Orientierung die Politik nehmen wird. Wir geben nicht auf, unseren Anspruch auf Religionsfreiheit klar zu machen. Dabei sind wir nicht allein. Die Deutsche Bischofskonferenz steht hinter uns und auch die Bundesregierung. Wir haben uns sehr gefreut, dass jüngst Kardinal Joachim Meisner mit einer Delegation die Türkei besucht hat. Auch der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestags, Ruprecht Polenz (CDU), kam mit Abgeordneten.

KNA: Mit welchen Gefühlen schauen Sie in die Zukunft?
Padovese: Ich bin optimistisch. Denn sonst würde ich nicht in der Türkei bleiben. Vier Jahre bin ich jetzt dort, auch wenn es mir manchmal wie 40 Jahre vorkommt (lacht) - so viele Konfrontationen gab es. Aber ich liebe dieses Land und die Leute. Unsere Probleme hängen nicht mit den Menschen zusammen, aber sie müssten mehr wissen, welche Probleme wir haben. Die Türkei müsste ihr Konzept der Laizität an Europa anpassen. Dabei könnte ihr Italien und Deutschland als Vorbild dienen, wo Staat und Kirche zum Wohl der Menschen zusammenarbeiten.