Agca in Freiheit - sein Papstattentat dürfte ein Geheimnis bleiben

Mann der hundert Wahrheiten

28 Jahre, 8 Monate und 5 Tage nach dem Mordversuch an Papst Johannes Paul II. hat der türkische Attentäter Mehmet Ali Agca seine Strafe abgebüßt. Schillernd und skurril wie vor Gericht und in seinen vielen Erklärungen will sich Agca offenbar auch in seinem neuen Leben in Freiheit geben. Wer jedoch neue Enthüllungen oder endlich die Wahrheit über das Mordkomplott gegen den polnischen Papst erwartet, dürfte sich täuschen.

Autor/in:
Johannes Schidelko
 (DR)

Der inzwischen 52-Jährige verließ am Montag das Gefängnis im anatolischen Sincan, wo er eine Reststrafe für eine andere Tat absaß. Künftig will der Mann, der den Papst am 13. Mai 1981 mit drei Schüssen auf dem Petersplatz lebensgefährlich verletzte, aus seinem Leben und seinen Erinnerungen Kapital schlagen. Er will durch Talkshows tingeln, ein Buch über das richtige Verständnis vom Christentum schreiben. Ein amerikanischer TV-Sender soll ihm zwei Millionen Dollar für ein Exklusiv-Interview angeboten haben.

In den Gerichtsverhandlungen machte das ehemalige Mitglied der extremistischen "Grauen Wölfe" so widersprüchliche Angaben, dass am Ende alles darauf hindeutete, dass er selbst seine Auftraggeber nicht kannte.

Agca beschuldigte auf dem Weg zur römischen Prozessaula mal diesen, mal jenen; machte mal den bulgarischen Geheimdienst und dann die türkische Mafia verantwortlich. Zeitweise mimte er den fanatischen Einzeltäter. Dann gab er sich kryptisch, bezeichnete sich als Vollstrecker des Willens Gottes, sogar als Jesus Christus. Agca wurde zum "Mann der hundert Wahrheiten", nur die eigentliche Wahrheit kam nicht ans Licht.

Todesstrafe wurde in Haftstrafe umgewandelt
Für Italien war der Fall Agca bereits im Jahr 2000 abgeschlossen, als Staatspräsident Carlo Azeglio Ciampi ein Gnadengesuch unterzeichnete. Der in der Haft ergraute Türke wurde in seine Heimat überstellt und der dortigen Justiz übergeben. Dort saß er seither die Reststrafe für den 1979 begangenen Mord an dem türkischen Journalisten Abdi Ipekci ab, für den er zum Tode verurteilt worden war, bevor er aus dem Gefängnis floh.

Die Todesstrafe wurde später in eine Haftstrafe umgewandelt. Nach gängiger Strafpraxis hätte Agca für das Attentat auf Johannes Paul II. in Italien bereits 1996 freikommen können - denn nach 15 Jahren endet hier in der Regel lebenslänglich. Aber mit Blick auf den Vatikan und die Schwere der Tat sah man davon ab. Zudem habe Agca wenig zur Aufklärung der Hintergründe der Tat beigetragen, monierte man.

Vermutlich kennt er die Drahtzieher tatsächlich nicht
Für den Vatikan galt der Fall Agca bereits unmittelbar nach der Tat als beendet. Noch auf dem Krankenbett verzieh Johannes Paul II. seinem Attentäter. Später besuchte er ihn im römischen Gefängnis. Dabei habe Agca jedoch, wie Papstsekretär Stanislaw Dziwisz in seinen Memoiren festhielt, den Papst mit keinem Wort um Verzeihung gebeten. Vielmehr habe er nach Erklärungen gesucht, wie er als Profikiller versagen konnte. "Eine Hand hat geschossen, eine andere das Projektil umgelenkt", sagte er später - und stellte sich damit hinter die Auffassung auch von Johannes Paul II., der seine Rettung - die Kugel verfehlte die lebenswichtigen Organe um Millimeter - dem Schutz der Gottesmutter von Fatima zuschrieb. Im Übrigen vermuten Vatikankreise die Drahtzieher des Mordauftrags beim sowjetischen Geheimdienst KGB, der sich durch den Einfluss des polnischen Papstes in seinen politischen Kreisen gestört fühlte.

Unbestritten ist, dass Agca die drei Schüsse abgefeuert hat. Er wurde noch auf dem Petersplatz gestellt. Aber wer ihn beauftragte, ist bis heute unklar. Und das dürfte auch weiterhin so bleiben. Es gilt als wenig wahrscheinlich, dass Agca zur Aufklärung beitragen kann - unabhängig von der Höhe der Summe, die man ihm für ein Exklusivinterview bietet. Vermutlich kennt er die eigentlichen Drahtzieher tatsächlich nicht. Und falls er sie kennt - und auch noch nennt - dürften seine Tage gezählt sein. Das Attentat auf den Papst aus Polen dürfte also ein Geheimnis bleiben.