Moraltheologe Pater Schuster zum Präimplantationsdiagnostik-Urteil

"Wie soll man kontrollieren, wonach gesucht wird?"

Ärzte dürfen von Patientinnen die außerhalb des Mutterleibs befruchteten Eizellen auf genetische Schäden untersuchen, bevor diese der Frau wieder eingepflanzt werden. Das hat der Bundesgerichtshof in Leipzig gestern in einem Grundsatzurteil entschieden. Der Moraltheologe und Jesuiten-Pater Josef Schuster erläutert im domradio.de-Interview, warum die Kirche Sturm gegen das Urteil läuft.

 (DR)

domradio.de: Schwere Erbschäden sollen mit Hilfe der Präimplantationsdiagnostik erkannt werden Trotzdem kommt deutliche Kritik von den Kirchen - warum?
Schuster: Das liegt daran, dass hier nicht irgendwelche Krankheiten genetischer Art entdeckt werden. Wenn es dafür eine Therapie gäbe, wäre ja gegen ein solches Verfahren nichts einzuwenden. Aber diese schadhaften Embryonen werden ausgesondert und dann vernichtet oder liegengelassen, d.h. es geschieht eindeutig eine Selektion. Und dann muss man sagen, dass dieses Verfahren, mehrere Embryonen zum Zwecke des Testens heranzuzüchten, eine Instrumentalisierung, ja eine Totalinstrumentalisierung darstellt. Denn zunächst einmal geht es nicht darum, sie zu implantieren, sondern sie zu testen. Und alle, die den Text nicht bestehen, werden verworfen. Und das ist nach Auffassung der Kirche, für die das menschliche Leben in seinen frühesten Stadien menschenwürdig und zu schützen ist, weil es sozusagen mit Würde ausgestattet ist, abzulehnen.

domradio.de: Befürworter des Urteils gestern sagen, dass wenn keine kranken Embryonen mehr eingesetzt werden, es zu deutlich weniger Abtreibungen kommen könnte, da die Patientinnen fast immer auf gesunde Kinder hoffen können - ist die Präimplantationsdiagnostik so gesehen dann nicht das geringere moralische Übel?
Schuster: Hier wird ja ein Übel gegen das andere abgewogen. Ich will gar nicht bestreiten, weil es dafür derzeit auch noch gar keinen empirischen Belege gibt, dass es durch diese Verfahren zu weniger Abtreibungen käme. Aber es gibt bereits Untersuchungen, dass auch bei einer stattgefundenen Präimplantationsdiagnostik Frauen schwanger geworden sind, dass auch dann noch einmal alle Möglichkeiten der Pränatalmedizin genutzt werden. Und wenn dann noch etwas entdeckt wird, dann wird doch abgetrieben. Jedenfalls habe ich das so einmal bei meinem Kollegen Dietmar Mieth in Tübingen nachgelesen. Ich denke, das ist auch verständlich: Dann wollen die Leute auch ganz sicher sein, dass sie wirklich ein gesundes Kind zur Welt bringen. Dabei möchte ich noch einmal sagen: Der Wunsch, ein gesundes Kind zur Welt zu bringen, ist nur zu verständlich und der ist auch legitim. Problematisch sind einzig und allein die Mittel, wie man das erreichen will.

domradio.de: Das bisherige Gesetz für Embryonenschutz von 1991 kann mit der modernen Forschung nicht mehr mithalten. Der Gesetzgeber sei nun aufgefordert, dass Embryonenschutzgesetz entsprechend nachzubessern, fordert die Bundesärztekammer. Sehen Sie nun nach dieser Entscheidung den Gesetzgeber in der Pflicht, mehr für den Schutz von Embryonen zu tun?
Schuster: Es ist zunächst einmal so, dass im Gesetz in der Tat nichts von Präimplantationsdiagnostik steht, weil diese überhaupt erst zu der Zeit entwickelt wurde, als dieses Gesetz verabschiedet wurde. Man hatte noch keine hellseherischen Fähigkeiten und hat deshalb auch im Gesetz keine Vorkehrungen treffen können. Aber das Gesetz heißt eindeutig ‚Gesetz zum Schutz von Embryonen' und es wird unter dem §8 eindeutig festgelegt: "Als Embryo im Sinne dieses Gesetzes gilt bereits die befruchtete, entwicklungsfähige menschliche Eizelle vom Zeitpunkt der Kernverschmelzung an". Ich denke an diesem Sachverhalt hat sich ja zunächst einmal nichts geändert. Dann müsste sich der Gesetzgeber ja jetzt fragen, wenn er in der Tradition dieses Gesetzes bleiben will: Was dient denn nun dem Schutz von Embryonen und zwar dem individuellen Schutz, nicht dem allgemeinen. Wenn er in der Linie dieses Gesetzes bleiben wollte, müsste Präimplantationsdiagnostik eindeutig verboten werden. Ob es dazu kommt, das bezweifle ich allerdings.

domradio.de: Unter den Protesten findet sich auch der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Hubert Hüppe. Was ist denn jetzt Ihre Einschätzung, was kann denn dieses Urteil für die Akzeptanz von behinderten Menschen in unserer Gesellschaft bewirken?
Schuster: Es ist ja bekannt, dass inzwischen ca. 90% der Kinder mit Down-Syndrom, also Trisomie 21 - Mongolismus - abgetrieben werden. Es steht zu befürchten, dass dann Kinder mit Behinderungen, die man vorher genetisch feststellen konnte, zunehmend weniger akzeptiert werden. Jedenfalls ist das eine ernstzunehmende Befürchtung. Es kann ja der Vorwurf gemacht werden, solche Kinder bräuchte es ja gar nicht mehr zu geben. Und das wäre eine verheerende Folge, wenn es dann doch letztlich darum ginge, wer darf leben und wer darf nicht leben. Was ist lebenswertes Leben und was ist lebensunwertes Leben. Und eine Bemerkung zur strengen Indikation, für welche Fälle denn überhaupt Präimplantationsdiagnostik gestattet werden soll: Der Katalog in Großbritannien umfasst inzwischen 130 Fälle. Nach 130 Fällen genetischen Fällen darf untersucht werden. Man kann sich leicht vorstellen, dass es demnächst 200 Fälle etc. geben wird. Das einzuschränken, halte ich für eine Illusion. Was sind denn schwere Fälle? Darüber existiert ja überhaupt keine Einigkeit. Das ist ein so dehnbarer Begriff, wann ist etwas schwer, wann ist es nicht schwer.

domradio.de: War das Urteil gestern für Sie persönlich auch eine Art Dammbruch?
Schuster: Jedenfalls ist die Gefahr nicht ganz von der Hand zu weisen. Ich erinnere nur an die Diskussion um die Pränataldiagnostik. Man hat damals auch gesagt: Nur für ganz bestimmte Fälle soll diese Diagnostik, also die sogenannten invasiven Methoden wie Fruchtwasseruntersuchung etc., angewandt werden. Inzwischen ist das eine Standarduntersuchung geworden, also nicht nur Ultraschall - das sowieso, das ist auch unproblematisch -, sondern auch die anderen Methoden, die keineswegs so ungefährlich sind. Ich fürchte, dass sich das bei der Präimplantationsdiagnostik kaum eingrenzen lässt. Zumal: Wer will denn das überhaupt kontrollieren? Wie wollen Sie kontrollieren, wonach gesucht wird?