Dresdens Altbischof Reinelt über Wiedervereinigung

"Da hat der Heilige Geist was gemacht"

Der Altbischof von Dresden-Meißen, Joachim Reinelt, hat die Wiedervereinigung von DDR und BRD hautnah miterlebt. Im domradio.de-Interview blickt er zurück auf eine bewegte Zeit.

Originale Betonteile der Berliner Mauer  / © Patrick Pleul (dpa)
Originale Betonteile der Berliner Mauer / © Patrick Pleul ( dpa )

domradio.de: Welche persönlichen Erinnerungen haben Sie an den 3. Oktober 1990?

Joachim Reinelt (Altbischof von Dresden-Meißen): Es war einfach ein Glückstag, ein Geschenk des Himmels und der Menschen, die sich dafür eingesetzt haben. Alles begann ganz jung und neu.

domradio.de: War der 9. November 1989  im Rückblick ein noch viel größerer Glückstag oder hat sich das dann wirklich auf den 3. Oktober kapriziert?

Reinelt: Der 9. November war natürlich auch noch ein ganz großer Glückstag, aber auch schon der 9. Oktober 1989, denn da wurde zum ersten Mal das Problem zwischen den Demonstranten und den damals noch mächtigen DDR-Führern friedlich gelöst. Man hat nicht geschossen in Leipzig, man hat in Dresden uns die Demonstrationen innerhalb von vier Kirchen machen lassen  - unsere Kathedrale war eine der ganz bedeutenden dabei. Ich habe da die Menschen erlebt, die voller Hoffnung gewesen sind: Jetzt müssen wir endlich alles neu machen, so wie wir es uns schon lange gewünscht haben. 

domradio.de: Wir haben Sie damals Ihre Aufgabe verstanden als noch junger Bischof von Dresden-Meißen?

Reinelt: Ich habe schon am 4. Oktober, als die Flüchtlingszüge aus Prag durch Dresden rollten, auf dem Hauptbahnhof mit denen, die auf die Züge aufspringen wollten, gesprochen, um dort Unfälle zu vermeiden. Ich habe mit der Polizei gesprochen, dass sie dort keine Gewalt anwenden soll. Das war der Anfang und dann habe ich diese  große Versammlung am 9. Oktober in der Kathedrale selber geleitet und abgeschlossen. Wir mussten das zwei Mal machen, weil die Kirche mit 8.000 Menschen gefüllt war und nach dieser Veranstaltung noch 4.000 vor der Tür standen, die wollten das gleiche nochmal erleben. Das war natürlich eine Aufbruchstimmung, wo wir als Kirche in Anspruch genommen worden sind und ich bin heute sehr froh, dass wir da die Kirchen geöffnet.

domradio.de: Sie sind 2011 mit der sächsischen Verfassungsmedaille ausgezeichnet. Dort heißt es "als wichtiger Wegbereiter und Begleiter der Bürger der DDR, die sich selbst ihre Freiheit erkämpft haben". War die Einheit möglicherweise einer der wichtigsten Teile Ihres Lebens?  

Reinelt: Ja, das kann ich so sagen. Wir haben 40 Jahre darum gebetet, bei jedem Engel des Herrn zum Mittag war die Fürbitte angeführt um die Einheit Deutschlands. Aber wir haben 1989 noch nicht glauben können, dass es so schnell geht. Wenn ich Horst Teltschik höre, der gesagt hat: Im Januar 1990 haben die Sowjets noch darüber nachgedacht, ob sie gegen die Demonstranten die sowjetische Armee einsetzen sollten…Gott sei Dank haben wir das nicht gewusst. Damals waren wir davon überzeugt, jetzt ist es geschafft. Und tatsächlich kam es so und wir müssen Helmut Kohl vor allem dafür danken, dass er so mutig an die Sache gegangen ist.

domradio.de: Wie haben Sie dieses Jahr erlebt, zwischen dem 9. Oktober, von dem Sie gerade berichtet haben - bis hin zum 3. Oktober 1990?

Reinelt: Das war das aufregendste Jahr meines bischöflichen Daseins und vielleicht auch meines Lebens. Es war Schlag auf Schlag vorwärts gegangen und der Ostblock brach zusammen Stück um Stück. Das ist für mich wirklich wie ein Wunder im wahrsten Sinne des Wortes. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die alle die Waffen liegen lassen haben aus eigener tiefster Überzeugung, sondern da hat der Heilige Geist was gemacht. "Keine Gewalt! Keine Gewalt!" haben die jungen Menschen auf den Straßen immer wieder gerufen. Und es scheint, als wäre das übergesprungen auf die Mächtigen.

domradio.de: Haben Sie sich jemals ausgemalt, was passiert wäre, wenn die Mauer 1989 nicht gefallen wäre?

Reinelt: Dann wäre klar, dass eine solche schreckliche Macht sich ausgetobt hätte an den Gegnern des so genannten Sozialismus, dass man dann nur noch eine Trauergeschichte erlebt hätte. Ich muss sagen, dass es so gekommen ist, ist ein solches geschenk, man kann jeden Satz des Magnifikat eigentlich auf diese spannende Jahreszeit damals anwenden. Da geht es eben wirklich um die Größe Gottes, die zu preisen ist. Er erbarmt sich, er hat machtvolle Taten gewirkt und die Hochmütigen zerstreut. Das ist wie ein Jubellied für den 3. Oktober.

Das Interview führte Matthias Friebe.


Der Altbischof von Dresden-Meißen, Joachim Reinelt (DR)
Der Altbischof von Dresden-Meißen, Joachim Reinelt / ( DR )
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DR