"Die Menschen brauchen nicht noch mehr Festung Europa, sie brauchen Europas Solidarität und Menschlichkeit", sagte die Migrationsexpertin von Caritas Europa, Shannon Phoman, auf Anfrage der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Brüssel.
Flüchtlinge müssten derzeit in Auffanglagern in Drittstaaten unterkommen, die ärmer seien und schlechtere Standards hätten als die Länder der EU, so Phoman. Man handele zudem gegen die Genfer Konventionen, wenn man Flüchtlinge aus vermutlich sicheren Drittstaaten direkt an der Grenze wieder zurückschicke, ohne ihnen die Chance auf einen Asylantrag zu geben.
Mehr Zusammenarbeit statt Abgerenzung gefordert
Der Europäische Flüchtlingsrat (ECRE) kritisierte, der Gipfel habe nicht die Bedürfnisse der Flüchtlinge im Blick gehabt. So müssten etwa die Unterkunftsbedingungen für Flüchtlinge mit Blick auf den hereinbrechenden Winter dringend verbessert werden. Die EU-Staaten würden zu sehr auf die Verstärkung der Grenzkontrollen setzen.
"Europa darf sich nicht darauf konzentrieren, Mauern und Stacheldrahtzäune zu bauen, sondern muss viel mehr mit seinen Nachbarn zusammenarbeiten und humane Lösungen für die Menschen in Not bieten", sagte der ECRE-Vorsitzende Morten Kjaerum.
Die Grünen im EU-Parlament forderten, die EU und die Regierungschefs dürften nicht zur politischen Eskalation in der Türkei schweigen. Man laufe Gefahr, die Regierung des Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan in ihrem Kurs zu stützen, sagte die Vorsitzende Grünen-Fraktion im EU-Parlament, Rebecca Harms. "Die EU-Mitgliedsländer können nicht alle, aber mehr Flüchtlinge aufnehmen und dürfen Erdogan nicht zu ihrem obersten Grenzschützer machen."
Einigung mit der Türkei über Grundsätze eines Flüchtlings-Abkommens
In der Nacht zu Freitag hatten sich die EU-Staats- und Regierungschefs auf Grundsätze eines Abkommens mit der Türkei zum Umgang mit Flüchtlingen geeinigt. Außerdem sollen die Bedingungen für Visa vereinfacht und die Beitrittsverhandlungen des Kandidatenlandes vorangetrieben werden. Die türkische Regierung in Ankara fordert als Gegenleistung drei Milliarden Euro für die Versorgung von Flüchtlingen im Land. Die EU hatte bisher eine Milliarde Euro angeboten.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte, es gebe keinen Zeitplan für die Umsetzung des Plans. Die von Ankara geforderte Anerkennung der Türkei als sicheres Herkunftsland sei auf dem Gipfel kein großes Thema gewesen. In der Türkei halten sich zwei Millionen Flüchtlinge auf, vor allem aus Syrien.
Merkel erinnerte erneut an die faire Verteilung der Flüchtlinge auf die EU-Staaten: "Wir brauchen Steuerung, wir brauchen Ordnung, wir brauchen Planbarkeit - und das bedeutet auch Lastenteilung." Vorrangig sei jedoch, "dass man den Schleppern nicht mehr die Hoheit über irgendwelche Hoheitsgewässer überlässt", so die Bundeskanzlerin.