Katholische Nachrichten-Agentur: Herr Kardinal, der Papst fordert in seiner Enzyklika "Laudato si" eine ökologische Umkehr. Wie sollte jeder Einzelne konkret in seinem Alltag umkehren?
Kardinal Reinhard Marx: Es gibt viele konkrete Möglichkeiten ökologischer Umkehr. Die Kirche muss nicht im Einzelnen konkrete Handlungsweisen vorschreiben. Wichtig ist aber, dass es zu einem Mentalitätswandel kommt, den Papst Franziskus in "Laudato si" einfordert. Es geht ja um die Erkenntnis, dass wir so nicht weitermachen können, wenn wir das Leben vieler langfristig nicht in Gefahr bringen wollen. Wir müssen handeln und den Klimawandel bremsen oder sogar aufhalten. Der Papst kritisiert die Passivität vieler, wenn es darum geht, ihre Gewohnheiten zu ändern. Die ökologische Umkehr bedeutet letztlich, aus dem abstrakten Wissen, dass ein ökologischeres Handeln erforderlich ist, auch eine konkrete Änderung des Lebensstils abzuleiten. Das bezieht sich auf viele Bereiche, auch auf andere Formen der Wirtschaft.
KNA: Es gibt immer noch Stimmen, die den Klimawandel für ein Märchen halten und der Kirche vorhalten, sie solle sich mehr um den Glauben kümmern.
Marx: Man sollte doch wie die Enzyklika dem weitgehenden wissenschaftlichen Konsens vertrauen. Zudem hat Franziskus deutlich gemacht, dass die Bewahrung der Schöpfung Bestandteil des christlichen Glaubens ist. Allen Vorbehalten, soziale und ökologische Fragen seien keine Aufgabe der Kirche, hat er damit einen Riegel vorgeschoben. Und dieses Verständnis, das der Papst nach vorne bringt, ist ja auch nicht neu. Das Evangelium bezieht sich auf die ganze Lebenswirklichkeit des Menschen. In meinem Studium habe ich - damals selbstverständlich - einen Kurs zur Schöpfungstheologie gehört. Die kirchliche Sozialethik ist Teil der Evangelisierung.
KNA: Am Klimagipfel nehmen die wichtigsten Staatsoberhäupter und gleichzeitig wohl größten Umweltverschmutzer teil. Am Ende soll ein ehrgeiziges Abkommen stehen, um den Klimawandel einzudämmen. Wie soll das gehen angesichts so vieler unterschiedlicher Interessen?
Marx: Das ist natürlich die Verantwortung der Politik. Als Kirche haben wir nur die Möglichkeit, das Vorfeld zu bereiten, Politik möglich zu machen. So ist auch das Engagement des Papstes zu verstehen: Mit der Enzyklika hat er einen politischen Impuls mit Blick auf die Klimakonferenz in Paris gesetzt. So etwas hat es mit Blick auf ein globales politisches Ereignis noch nicht gegeben. Der Papst ist jedenfalls zuversichtlich, dass die ökologische Umkehr des Einzelnen und der Staatengemeinschaft gelingen kann. Und auch alle kontinentalen Zusammenschlüsse von Bischofskonferenzen haben am 26. Oktober in Rom eine gemeinsame Erklärung zur Klimakonferenz veröffentlicht, mit der die Verhandlungspartner zu einer Einigung aufgerufen werden. Auf der Ebene der COMECE haben wir zudem einen Expertenbericht zur Klimafrage erarbeiten lassen, den wir im November veröffentlichen werden.
KNA: Welche besonderen Aufgaben sollten die hoch entwickelten Länder beim Klimawandel übernehmen?
Marx: In Rio ist 1992 das Prinzip der gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortung formuliert worden. Danach haben die Länder des Nordens eine spezifische Verantwortung. Papst Franziskus greift das auf und spricht sogar von einer ökologischen Schuld, da unsere wirtschaftlich Entwicklung auf Kosten von Mensch und Umwelt gegangen ist. Wir müssen aufpassen, dass die Klimaschutzziele nicht wie eine zweite Kolonisation die Entwicklung der ärmeren Staaten behindern. Sie haben ein besonderes Recht auf Entwicklung, so dass wir uns in den hoch entwickelten Staaten stärker anstrengen müssen, damit die Lösung der globalen Herausforderungen gelingen kann. Wir sollten eine Vorreiterrolle bei der Bewältigung des Klimawandels übernehmen. Dazu gehört es auch, Wachstum und Fortschritt neu zu definieren.
KNA: Und welche Verpflichtungen und Aufgaben haben die Kirchen dabei?
Marx: Die Kirche muss zum einen sozialethische Wegweisungen geben und damit einen Beitrag zur Bewusstseinsbildung leisten. Zum anderen hat sie mit ihren zahlreichen Gebäuden und Flächen aber auch eine Verantwortung bei der konkreten Umsetzung nachhaltigen Handelns: Wärmedämmung, alternative Energien, nachhaltige Versorgung. Da wird in der Kirche schon sehr viel gemacht. Aber auch wir können noch besser werden und einen Beitrag zur ökologischen Umkehr leisten. Wenn man hohe Ansprüche an die Politik stellt, muss man auch selbst Vorreiter und Vorbild sein. Und das geschieht auch in vielen Bistümern.
KNA: Wo sehen Sie den Zusammenhang zwischen Klimawandel und den Flüchtlingsfragen?
Marx: Eine der zentralen Thesen der Enzyklika "Laudato si" ist, dass soziale und ökologische Fragen nicht voneinander getrennt werden können, sondern zusammengehören. Franziskus spricht von einer einzigen und komplexen "sozio-ökologischen Krise". Und: Wegen des Klimawandels werden wahrscheinlich noch mehr Menschen aus ihrer Heimat fliehen müssen. Damit unterstreicht die Flüchtlingsfrage die These des Papstes, dass alles mit allem zusammenhängt. Denn der globale Klimawandel ist eine umfassende Bedrohung menschenwürdiger Existenz. Es geht beim Klimawandel nicht allein um die Umwelt. Er ist eine Herausforderung, Gerechtigkeit global, ökologisch und zwischen den Generationen zu gestalten.