domradio.de: In Aleppo sind die Wasser- und Stromversorgung zusammengebrochen, außerdem fehlt es an Dieselkraftstoff. Das klingt alles sehr dramatisch. Können Sie uns mehr über die aktuelle Lage in Aleppo berichten?
Berthold Pelster: Die Lage ist wirklich sehr dramatisch. Wir haben vor einigen Tagen einen verzweifelten Hilferuf vom syrisch-katholischen Erzbischof, Denys Antoine Chahda, bekommen. Er hat uns die Situation ein bisschen geschildert. Die Stadt ist schwer umkämpft. Aleppo ist eine der wichtigsten Städte in Syrien, die zweitgrößte Stadt, und strategisch von großer Bedeutung. Ein Teil der Stadt ist von Truppen der Assad-Regierung besetzt. Ein anderer Teil der Stadt ist von unterschiedlichen militanten Gruppen der Opposition besetzt. Das Herrschaftsgebiet des IS ist auch nicht allzu weit entfernt. Also, die Stadt ist heftig umkämpft. Es fallen immer wieder Bomben. Gerade das Regime wirft die berüchtigten Fassbomben auf die Viertel ab, die von Oppositionsgruppen besetzt sind. Viele Häuser, Fabriken, Büros, Schulen und Krankenhäuser sind zerstört. Das hat zum einen die Folge, dass Menschen nur noch in Ruinen leben. Zum anderen ist das normale Alltagsleben völlig zusammengebrochen. Die Menschen haben keine Arbeit und verdienen kein Geld mehr und können sich keine Lebensmittel oder andere Dinge kaufen. Das zeigt die ganze Dramatik der Situation.
domradio.de: Und jetzt steht auch noch die kalte Jahreszeit vor der Tür und könnte die Situation weiter verschlechtern. Welche Herausforderungen stehen den Menschen in Aleppo bevor?
Berthold Pelster: Die Menschen, die ihre Wohnungen verloren haben und deren Häuser zerstört sind, müssen irgendwo Unterschlupf finden, wo es halbwegs warm ist. Die Stromversorgung ist zusammengebrochen, viele Heizungssysteme funktionieren auch nicht mehr. Der Erzbischof hat uns gesagt, dass er in seinen Kirchen und Klöstern Notunterkünfte eingerichtet hat, wo die Menschen zusammenkommen können. Einige christliche Gemeinden haben noch eigene Brunnen, mit denen sie Trinkwasser fördern können. Damit werden die Menschen versorgt. Dort hat man vielleicht noch die Möglichkeit, für Wärme zu sorgen, warme Kleidung zu verteilen, vor allen Dinge aber auch Essen an die Menschen zu verteilen, die selber kein Geld mehr haben, um sich etwas zum Essen kaufen zu können.
domradio.de: Sie leisten aber mit "Kirche in Not" konkrete Hilfe vor Ort. Wie sieht die aus?
Berthold Pelster: Wir selbst stellen finanzielle Mittel bereit, damit Lebensmittel und warme Kleidung für die Familien vor Ort gekauft werden können. Wir finanzieren auch Heizöl, damit die letzten funktionierenden Heizungen betrieben werden können. Weiter finanzieren wir Reparaturarbeiten, wenn also Wohnungen nur teilweise zerstört sind, so dass man sie irgendwie wieder herstellen kann. Wir geben Zuschüsse, damit Menschen, die noch in intakten Wohnungen wohnen, ihre Mieten bezahlen können, weil sie selbst ja arbeitslos sind und keine Ersparnisse mehr haben. Dann kümmern wir uns auch um Medikamente, die sehr wichtig sind. In diesen schwierigen Verhältnissen kommt es leicht zu Krankheiten. Ansteckende Krankheiten breiten sich aus und dagegen müssen Medikamente eingesetzt werden. In den Klöstern und Kirchen werden Menschen auch wieder gesund gepflegt und medizinisch versorgt, die bei Explosionen, durch Bombeneinschläge oder Granatsplitter schwer verletzt worden sind.
domradio.de: Vielleicht noch kurz zur politischen Lage. Die Menschen in Aleppo stehen zwischen mehreren Fronten und es sieht nicht so aus, als würde sich das in nächster Zeit ändern. Was meinen Sie, muss passieren, dass sich in Situation in Aleppo vielleicht doch verbessert?
Berthold Pelster: Das ist eine ganz, ganz komplizierte Frage. Vor kurzem hat ja in Wien wieder eine Syrienkonferenz getagt. Man hat dort einen Fahrplan beschlossen, wie es gehen könnte. Das erste ist ein Waffenstillstand, aber das ist schon die größte Hürde, die zu überwinden ist. Wie kann man es überhaupt schaffen, diesen entsetzlichen Krieg zum Stillstand zu bringen? Sollte das aber gelingen, dann müsste man Gespräche zwischen der Regierung und der Opposition führen. So sagt es die Syrienkonferenz. Aber momentan ist es ja so, dass das Regime von Präsident Assad Krieg gegen die eigene Bevölkerung, gegen die Opposition führt. Wie soll es da zu Gesprächen kommen? Danach soll eine Übergangsregierung gebildet werden. Die Syrienkonferenz sagt, dass das innerhalb von einem halben Jahr passieren soll. Auch das klingt sehr, sehr anspruchsvoll. Und danach wiederum sollen dann Wahlen stattfinden. Der Fahrplan ist äußerst kompliziert umzusetzen und wir können alle nur beten, dass hier erste Schritte gelingen und der schreckliche Bürgerkrieg in Syrien ein Ende findet und die Menschen aus der Hölle herausfinden.
Das Interview führte Tobias Fricke.