domradio.de: Wie sieht denn Präventionsarbeit im Moment in Deutschland aus?
Thomas Mücke (Geschäftsführer des "Violence Prevention Network"/Verbund von Fachkräften in der Extremismusprävention): Sehr unterschiedlich. Einerseits kann man sagen, dass es schon sehr gute Projekte und Konzepte gibt, bei denen man auch weiß, dass sie nachhaltig wirken. Seit einer Weile wird schon mit Syrien-Rückkehrern gearbeitet, genauso wie im präventiven Bereich. Aber auf der anderen Seite haben wir keine Konstanz und sind nicht breit genug aufgestellt. Wir bewegen uns im europäischen Vergleich in einer guten Position, aber trotzdem bedarf es weitere Länderprogramme. Da hat sich in den letzten Monaten einiges getan. Zudem braucht es eine Aktivität direkt in der Kommune, dass heißt, dass Menschen vor Ort eine Unterstützung erhalten und Angebote da sind.
domradio.de: Wie muss man sich denn eigentlich Extremismusprävention vorstellen? Gehen Sie auf junge islamische Männer zu oder wie funktioniert das?
Thomas Mücke: Wir arbeiten insgesamt mit über 130 jungen, gefährdeten Menschen, die in diese Szene abgerutscht sind, zusammen. Bei diesen Personen hat eine Ausreise gedroht oder sie sind aus Syrien zurückgekehrt. Es ist eine aufsuchende soziale Arbeit. Das bedeutet, dass sie nicht selber zu einem kommen, sondern man muss sie über die Eltern, die Schule oder über Jugendhilfeeinrichtungen, wo man sie zur Kenntnis genommen hat, direkt aufsuchen und versuchen, mit ihnen eine Arbeitsbeziehung aufzubauen. In dem überwiegenden Teil der Fälle gelingt uns das auch. Und zwar in der Form, dass sie wieder von der Szene Abstand nehmen können. Prävention und die direkte Arbeit mit den jungen Menschen ist möglich und man darf diese jungen Menschen auch nicht aufgeben.
domradio.de: Sie sagen aber, es sei immer noch zu wenig. Was halten Sie denn von einem großen, nationalen Präventionsprogramm, wie es der Bremer Verfassungsschutz-Chef Hans-Joachim von Wachter fordert?
Thomas Mücke: Mit den großen Programmen haben wir in der Vergangenheit schon unsere Erfahrungen gemacht. Im Frühjahr lief die Extremismusprävention schon über Bundesprogramme, die aus europäischen Mitteln finanziert worden sind. Die waren zu wenig vor Ort verankert. Es gibt auch nicht die einzig sinnvolle Strategie. Man muss sich in der Region genauer anschauen, was machbar ist und wie man sich vernetzen kann. Ich halte nichts vor einer großen, nationalen Strategie, sondern ich plädiere dafür, vor Ort genug Strukturen zu entwickeln, dass dort etwas entfaltet werden kann.
domradio.de: Wie kann man in einer Gesellschaft wie Deutschland wirksam Salafismus oder allgemein Extremismus begegnen?
Thomas Mücke: Indem man schaut, dass genug Angebotsstrukturen da sind. Wenn man sich einmal die Elternberatung für Angehörige anschaut, dann stellt man fest, dass diese seit vielen Jahren personell unterbesetzt ist. An dieser Stelle kann man einiges tun. Aber insgesamt brauchen wir eine Verantwortungsgemeinschaft in Schulen und in der Gesellschaft, so dass jeder etwas tun kann. Man muss aufpassen, dass die radikalen Gruppierungen nicht offensiv versuchen, die jungen Menschen zu rekrutieren und sie ansprechen, sondern man sollte schauen, dass wir ein Auge auf diese Jugendlichen haben und sie nicht verlieren. Das ist unsere einzige Chance, den Extremisten den Boden zu entziehen. Auf diesem Sektor kann man eine ganze Menge machen und da dürfen wir keine Zeit verstreichen lassen.
Das Interview führte Tobias Fricke.