Tolle Tage gibt's nicht nur im Rheinland

Karneval, Libori, Weinfeste

Kaum ist die Weihnachtszeit vorbei, frönen Menschen dem bunten Treiben der Karnevals- und Faschingszeit. Dabei ist diese fünfte Jahreszeit nur eine von vielen, die es hierzulande gibt.

Bunt verkleidete Karnevalistinnen / © Armin Weigel (dpa)
Bunt verkleidete Karnevalistinnen / © Armin Weigel ( dpa )

Eine fünfte Jahreszeit ist eigentlich völlig unsinnig - bekanntlich gibt es nur vier Jahreszeiten: Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Die Zahl vier ordnet die irdischen Verhältnisse, es gibt vier Himmelsrichtungen. Die Zahl fünf sprengt aber die vorgegebene Ordnung, so wie es auch die Zahlen 11 und 13 tun: Die Narrenzahl 11 stiehlt sich aus der Ordnung des Dezimalsystems so wie die Zahl 13 aus dem Duodezimalsystem. Nicht umsonst schlägt es dann 13. Eine fünfte Jahreszeit ist außerordentlich, fällt eben aus der Ordnung und ist nicht ohne Grund eine Provokation. Für sie gelten eigene Regeln, sie ist nicht normal.

Eine fünfte Jahreszeit innerhalb eines Systems der vier Jahreszeiten rüttelt an einem überkommenen System. Es stellt infrage, rebelliert gegen die Ordnung - aber es löst die alte Ordnung nicht auf, auch wenn es sie auf Zeit außer Kraft setzt. Die bekannteste fünfte Jahreszeit ist die Fastnacht - das Schwellenfest vor der österlichen Fastenzeit. Aus der Feier am Vorabend des Aschermittwochs wurde mit der Zeit eine Zeitspanne von drei «tollen Tagen», die seit Jahrhunderten - nach einer im 20.Jahrhundert eingeführten Vorankündigung am 11.11. - schon mit dem Januar beginnt. Ihre Kennzeichen sind die Narrenfreiheit, das Recht, die Obrigkeit zu ironisieren, das Recht auf Versammlungsfreiheit und das Recht auf Verkleidung.

Die Tradition der fünften Jahreszeit

Sitzungs- und Straßenkarneval sind Formen die sich ebenso entwickelt haben wie die Repräsentanten dieser Zeitspanne: Prinz Karneval und seine Prinzessin Venetia oder das Kölner Dreigestirn. In Gent trat früher jährlich ein Nebukadnezar die Herrschaft in einem babylonischen Reich an, in Antwerpen ein Bacchus. Auch wenn die Rheinländer sich gerne für einmalig halten: Fünfte Jahreszeiten gibt es auch andernorts, und diese müssen nicht Fastnacht, Karneval oder Fasching heißen. Im sächsischen Erzgebirge gelten Advent und Weihnachtszeit als fünfte Jahreszeit, in Paderborn das neuntägige Liborifest Ende Juli zu Ehren des heiligen Liborius.

Neben dem religiös motivierten Brauchtum haben sich Wein- und Bierfeste als eigene fünfte Jahreszeiten angesiedelt: Die Starkbierzeit in Bayern belegt die gesamte Fastenzeit. Die Bergkirchweih in Erlangen feiert man zwölf Tage zu Pfingsten. Das 16-tägige Herbstfest in Rosenheim und das elftägige Gäubodenvolksfest in Straubing sowie das viertägige Fränkische Volksfest in Crailsheim zählen auch dazu.

Geltende Orndung wird außer Kraft gesetzt

Auch Kirmesfeste und Freimärkte stehen in der Tradition fünfter Jahreszeiten, etwa der dreimal im Jahr stattfindende "Send" (von "Synode", der Versammlung kirchlicher Vertreter) in Münster. In Bremen gilt die außerordentliche Jahreszeit für den Freimarkt im Oktober, in Hannover für das zehntägige Schützenfest im Juli. Hierzu gehören auch der zehntägige Kramermarkt in Oldenburg Ende September und der Stoppelmarkt in Vechta. Und wenn auch die Bezeichnung "Sim-Jü" eher chinesisch klingt, ist sie doch die Abkürzung für den Simon-Juda-Markt in Werne, bezogen auf die am 28. Oktober gefeierten Apostel Simon und Judas Thaddäus. Für nahezu alle erwähnten Feste gilt: Während ihrer Dauer sind Teile der sonst geltenden Ordnung außer Kraft gesetzt. Wenn die Karnevalisten sich selbst und ihre Politiker "in der Bütt" durch den Kakao ziehen, "derblecken" die Münchener auf dem Nockherberg bei der Starkbierprobe die Politik.

Die Anomalität fünfter Jahreszeiten hebelt die Ordnung in den regulären vier Jahreszeiten nur auf Zeit aus. Im Grunde stabilisiert sie das "ordentliche Jahr" dadurch, dass kontrolliert Dampf abgelassen werden kann. Und genau das erklärt die Popularität aller fünften Jahreszeiten. Denn die lassen zu, was sonst nicht zugelassen ist: Fest und Feier, Speis und Trank - und das alles in freier, arbeitsfreier Zeit. Die fünfte Jahreszeit ist "sozialer Kitt". Denn Menschen, die miteinander feiern, streiten in der Regel nicht ernsthaft miteinander - im Gegenteil, das gemeinsame Feiern erlaubt es, Brücken über alte Gräben zu bauen. Wenn es fünfte Jahreszeiten also nicht gäbe, müsste man sie glatt neu erfinden.


Liborius-Prozession in Paderborn (DR)
Liborius-Prozession in Paderborn / ( DR )
Quelle:
KNA