Vierter Jahrestag des Kölner Beschneidungs-Urteils

Einsatz gegen Beschneidung

Vor vier Jahren erklärten Kölner Richter die rituelle Beschneidung von Jungen zur Straftat, im selben Jahr erließ der Bundestag ein Gesetz, das den Eingriff legalisiert. Am Samstag gingen weltweit Menschen gegen Beschneidung auf die Straße.

Chirurgische Instrumente zur Beschneidung / © Bea Kallos (dpa)
Chirurgische Instrumente zur Beschneidung / © Bea Kallos ( dpa )

Mit zwei  Zangen ziehen die Ärzte die gerade frisch abgeschnittene Haut eines Jungen in die Länge. Vier Bilder von einer Beschneidungs-OP zeigen die Demonstranten auf einem Plakat neben der Bühne derer, die heute etwas zu sagen haben, oder einfach sagen wollen. Bei den Bildern steht "Kinder schlagen = verboten, Kinder Körperteile abschneiden = erlaubt."

Mehrere Menschenrechts- und Familienorganisationen haben am Samstag auf einer Kundgebung in der Kölner Innenstadt gegen Beschneidung demonstriert. Am 7. Mai 2012, vor genau vier Jahren, fällten Kölner Richter ein aufsehenerregendes Urteil: Sie bewerteten die rituelle oder medizinisch nicht notwendige Beschneidung eines minderjährigen Jungen als Straftat und lösten damit in der Gesellschaft eine heftige Debatte um die Zulässigkeit dieses religiösen Rituals aus. Noch im selben Jahr hat sich auch der Bundestag damit beschäftigt und ein Gesetz verabschiedet der den Eingriff legalisiert. In die Entscheidung hatten unter anderem die Empfehlung des Verbandes der US-amerikanischen Kinderärzte eingewirkt, die Beschneidungen riskant nannten, die ihr aber auch eine vorbeugende Wirkung zum Beispiel gegen Herpes, Warzen oder HIV-Infektionen zuwiesen. Dem widersprochen hatten aber schon kurz drauf europäische Verbände. Die Diskussion ist also noch nicht vorbei.

"Jeder lebt anders mit den Folgen"

"Dieses Kölner Urteil hat eine Bewegung ausgelöst. Männer haben angefangen an die Öffentlichkeit zu gehen", sagt Victor Schiering bei der Eröffnung der Kundgebung. Er spricht als Vertreter des MOGiS e.V..  In dem Verein haben sich Betroffene sexuellen Missbrauchs, sexueller Ausbeutung und sexualisierter Gewalt zusammen­geschlossen um ihren Interessen eine Stimme zu geben. Auch er hat im Alter von sechs Jahren seine gesunde Vorhaut amputiert bekommen. "Jeder, der eine Vorhautamputation über sich hat ergehen lassen müssen, hat seine ganz individuelle Geschichte. Jeder lebt anders mit den Folgen", schreibt er in einer öffentlichen Stellungnahme.

Manche Folgen versucht Angelika Bergmann-Kallwass mit Betroffenen aufzuarbeiten. Die Psychologin aus Köln ist per "Zufall", wie sie selber sagt, an die Thematik gekommen und hat sich seitdem damit beschäftigt. "Heute stehe ich hier und vertrete eine Haltung", sagt die Therapeutin. "In der Therapie kann ich Verletzungen versuchen rückgängig zu machen, aber Beschneidungen kann ich nicht rückgängig machen", sagt sie vor den Versammelten und einigen interessierten Passanten. Nicht alle könnten öffentlich über ihre psychischen Folgen der Beschneidung sprechen. Viele hätten Ängste, andere seien resigniert. Sie gebe heute den Schweigenden eine Stimme und erklärt öffentlich, dass sie das erste Mal in ihrem Leben einem der Vereine beitrete. In Köln sind neben MOGiS e.V. auch die Organisationen Terre des Femmes, Pro Familia NRW, Intakt und der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte beteiligt.

Medizinische Literatur veraltet

Mediziner wie Christoph Kupferschmid vom Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte sehen die Beschneidungen gesunder Organe kritisch. Denn die Vorhaut habe eine Funktion. Daher seien rechtfertigende Gründe für eine medizinische Beschneidung notwendig. Ein Problem sei, dass das in Fachliteratur und auch im Studium vermittelte Wissen teilweise stark veraltet sei. "Noch immer denken viele Ärzte, dass man die Vorhaut nicht braucht", sagte der Mediziner. Das sei aber ein Irrglaube. Aus medizinischen Gründen müssten gerade einmal 1,5 Prozent der Jungen beschnitten werden. Die Zahlen ergeben aber, dass jeder zehnte Junge in Deutschland beschnitten werde – also 30.000 Jungen pro Jahr. Zudem sagt Kupferschmid, dass Jungen weniger aus religiös-kultureller Motivation heraus beschnitten werden, sondern aus überholten medizinischen Gründen heraus.

"Jedes Kind hat ein Recht auf eine gewaltfreie Erziehung", so Victor Schiering, der aus eigener Erfahrung spricht. "Das Erziehungsrecht beinhaltet nicht, Kindern ohne medizinische Indikation Schmerzen und irreversible Veränderungen an ihrem Körper mit unabsehbaren Spätfolgen vorzunehmen." Das sei unabhängig von Geschlecht, Herkunft, Religion und Tradition ein Menschenrecht. Schiering und seine Mitstreiter sind an diesem Tag nicht mehr alleine unterwegs. Denn neben der Kundgebung in Köln gibt es am Samstag auch Veranstaltungen in New York, San Francisco, Palm Springs, Sydney und London zum "Worldwide Day of Genital Autonomy".


Plakat gegen Beschneidung / © Melanie Trimborn  (DR)
Plakat gegen Beschneidung / © Melanie Trimborn ( DR )
Quelle:
DR