An dieser hat der aus dem Gremium ausgeschiedene Augsburger Weihbischof Anton Losinger noch mitgewirkt - und stellt die Ergebnisse im Interview vor.
domradio.de: Die letzte Stellungnahme des Deutschen Ethikrates, an der Sie aktiv mitgewirkt haben, liegt jetzt vor. Es geht um das Patientenwohl als christliches Kriterium im Krankenhaus. Was ist denn da genau der Kern?
Weihbischof Anton Losinger: Das Patientenwohl als ethisches Kriterium im Krankenhaus betrifft eine Lebenswelt, die wir alle kennen. Wer schon einmal krank war und ins Krankenhaus musste, der hat erkannt, dass es sich hier um eine existentielle Lebenssituation handelt, die Menschen oft viel Sorge und Angst bereitet. Hier handelt es sich nicht nur um eine Funktionsstörung. Gleichzeitig sehen wir, dass das Krankenhaus mit einer ganz gewaltigen Reihe von wichtigen Diensten dazu beiträgt, dass Menschen wieder gesund werden können. Allerdings sehen wir das Krankenhaus auch immer wieder als Apparat, in dem Ärzte, Heilende, Pflegende und auch Patienten an ihre Grenzen stoßen. Es fehlt einfach die Ressource Zeit. Zudem kann Zuwendung nicht in dem Maße gegeben werden, wie man es sich wünschen würde. Deshalb kam es zu dieser Stellungnahme. Das Patientenwohl ist das zentrale ethische Kriterium, nach dem ein Krankenhaus organisiert sein muss.
domradio.de: Können Sie uns dafür vielleicht ein ganz praktisches Beispiel nennen?
Losinger: Wir haben beispielsweise immer wieder Patienten, die darüber klagen, dass Ärzte im Hinblick auf ihre Krankheit keine Zeit haben. Auch Pflegende haben zu wenig Zeit, um sich um sie zu kümmern. Auf der anderen Seite werden bei der Verrechnung der Dienste maschinelle und technische Anwendungen sehr viel höher bewertet als menschliche Zuwendung.
domradio.de: Es ist ja grundsätzlich so, dass ein Krankenhaus auch nach ökonomischen Gesichtspunkten geführt werden muss. Insofern spielen wirtschaftliche Belange immer eine Rolle. Wie kann man das in guten Einklang bringen?
Losinger: Ein Krankenhaus muss ganz klar, so wie alle Lebensbereiche, in denen wir uns bewegen, nach ökonomischen Kriterien charakterisiert und organisiert sein. Da Geld immer knapp ist und Knappheit geradezu eine Lebensmaxime unter den Ökonomen ist, muss man sehen, wie man mit knappen Ressourcen ein möglichst optimales Ergebnis für kranke Menschen erreicht. Wir haben im Deutschen Ethikrat die Frage gestellt, ob das Verrechnungssystem, das ein Fallpauschalenmodell ist, adäquat Menschen in ihren Krankheitssituationen gerecht wird. Wir sagen, es bedarf im Grunde immer einer Grundstruktur. Aber es gibt bestimmte Situationen, an denen ein Fallpauschalensystem dem ganzen nicht gerecht wird. Beispielsweise dort, wo es um Menschen mit einer ganz besonderen Gesundheitslage geht, die eben nicht nach einer vorgesehenen Zahl von Tagen entlassen werden können. Ein weiteres Beispiel dreht sich um älter werdende Menschen. Es zeichnet ja unsere demografische Situation aus, dass diese Menschen nicht in einer geplanten Weise gesund werden. Eines muss vor allem immer wieder ganz klar gesehen werden: Wo es um Pflege von demenziell erkrankten Menschen geht oder auch von Menschen in psychologischen Notlagen, muss nachgesteuert werden, und es müssen neue und bessere Begleitsysteme angemahnt werden.
domradio.de: Was erhoffen Sie sich denn, wenn Sie jetzt das Papier veröffentlichen? Wo, denken Sie, kann uns das wirklich helfen?
Losinger: Das erste und wichtigste Anliegen dieses Papiers, mit dem sich der Deutsche Ethikrat wirklich lange in der Arbeitsgruppe beschäftigt hat, ist zunächst einmal die Hoffnung auf eine mentale Änderung von Problemsituationen. Es muss darauf hingewiesen und darauf hingearbeitet werden, dass kranke Menschen nicht ein Systemfehler sind, sondern sich in einer existentiellen Lage mit Fragen und Ängsten befinden. Wir müssen darauf hinarbeiten, dass Pflege besser organisiert wird und auch dort, wo es notwendig ist, besser ausfinanziert werden kann, damit kranke Menschen in ihrer spezifischen Pflegesituation die notwendige Hilfe erfahren. Schließlich muss dort, wo ein Verrechnungssystem stattfindet, das kranken Menschen in einer Vielzahl von Fällen nicht gerecht wird, die ökonomische Struktur der Kostenverrechnung in einem Krankenhaus neu angedacht werden.
Das Interview führte Ingo Brüggenjürgen.