Adveniat zur Suspendierung von Brasiliens Präsidentin Rousseff

Sorgenvolle Entwicklung

Die brasilianische Präsidentin Dilma Rousseff muss ihr Amt ruhen lassen. Der Senat stimmte für die Suspendierung und die formelle Aufnahme eines Amtsenthebungsverfahrens. Das Lateinamerikahilfswerk Adveniat betrachtet die Entscheidung mit Sorge.

Brasiliens Präsidentin Rousseff vorläufig abgesetzt / © Fernando Bizerra (dpa)
Brasiliens Präsidentin Rousseff vorläufig abgesetzt / © Fernando Bizerra ( dpa )

domradio.de: Welche politischen Folgen wird das jetzt für Brasilien haben?

Norbert Bolte (Brasilien-Referent des katholischen Lateinamerikahilfswerks Adveniat): Die politischen Folgen für Brasilien sind zum Teil nicht vorhersehbar. Wir glauben, dass sich abzeichnet, dass sich das Land politisch und wirtschaftlich neu aufstellen wird. Wir rechnen damit, dass es starke Haushaltseinsparungen geben wird, dass es Kürzungen im Sozialbereich geben wird. Diese Entwicklungen sind aufgrund der Äußerungen zu vermuten, die die jetzt vorläufig an die Macht kommenden Politiker in den letzten Wochen und Monaten geäußert haben.

domradio.de: Wenn ich Sie richtig verstehe, dann klingt das alles nicht nur schlecht, oder?

Bolte: Wir betrachten es mit großer Sorge, weil wir davon ausgehen müssen, dass viele der sozialen Errungenschaften, die in den letzten 15 Jahren erzielt wurden, rückgängig gemacht oder zumindest infrage gestellt werden. Man muss sich vor Augen halten, dass gerade in der Zeit des vormaligen Präsidenten Lula mehr als 30 Millionen Brasilianern aus der Armut herausgeführt worden sind. Es sind Millionen von Wohnungen im sozialen Wohnungsbau entstanden. Es sind gerechtere Löhne gezahlt worden, Arbeiterrechte wurden gesichert. Es wurde eine Privatisierungswelle gestoppt. Insgesamt waren das viele positive Zeichen, die wir wahrgenommen haben. Wir laufen nach unserer Einschätzung Gefahr, dass in nächster Zeit viele Dinge auf Eis gelegt oder gar rückgängig gemacht werden.

domradio.de: Finden Sie die Suspendierung von Präsidentin Rousseff denn gerechtfertigt?

Bolte: Wenn Sie mich persönlich fragen - und da beziehe ich mich auf meine Erfahrungen in Brasilien und die Gespräche mit vielen Partnern - halte ich es für ein großes Missverständnis, das da in Brasilien passiert ist. Es ist aber kein zufälliges Missverständnis. Es wird jetzt eigentlich ein dritter Wahlgang vorgenommen. Bei der letzten Wahl hat Dilma Rousseff knapp vor ihrem oppositionellen Gegenkandidaten gewinnen können. Bereits vor anderthalb Jahren wurde dieses Ergebnis angezweifelt. Es wurden damals erste Anstrengungen unternommen, sie wieder aus dem Amt zu entheben. Jetzt wurde im Dezember ein neues Verfahren aus der Schublade gezogen, was ihr auf einer rein formalen Ebene Haushaltsverstöße vorwirft. Eigentlich ist es aber eine politische Abstimmung, die jedoch nicht mehr von den Wählern vorgenommen wird, sondern von einigen Repräsentanten, die selber unter ganz starkem Druck stehen und sich teilweise selber vor Gericht verantworten müssen. Deshalb habe ich sehr große Zweifel an der Legitimität dieses Verfahrens.

domradio.de: Was bedeutet dieses politische Scharmützel denn für die Arbeit von Adveniat?

Bolte: Wir beobachten mit großer Sorge die Entwicklung in Brasilien in den letzten Wochen und Monaten. Es hat sich ein großer politischer Klimawandel abgezeichnet. Ein Hass-Klima ist entstanden. Wir versuchen unsere Projektpartner dort zu unterstützen, wo sie sich im Sinne der Gesamtgesellschaft einsetzen und versuchen, einen menschlichere Gesellschaft, eine mehr auf das Gemeinwohl orientierte Gesellschaft in Brasilien aufzubauen. Da hat gerade auch die brasilianische Bischofskonferenz, die einer unserer Projektpartner ist, schon seit einigen Jahren gesagt. Man müsse unbedingt in Brasilien politische Reformen durchführen, damit unter anderem auch solche Meinungsbildungsprozesse, sowie politische und rechtliche Prozesse auf bessere und solidere Füße gestellt werden können.

Das Interview führte Susanne Becker-Huberti.


Norbert Bolte, Brasilien-Referent bei Adveniat (Adveniat)
Norbert Bolte, Brasilien-Referent bei Adveniat / ( Adveniat )
Quelle:
DR