domradio.de: Überrascht Sie, dass die Kirche so reich ist?
Professor Hans Markus Heimann: Eigentlich nicht. Die Frage ist ja auch, was heißt das, dass sie so reich ist. Sehr viel von diesem Geld ist ja gebunden, nicht irgendwie flüssig zu machen oder für kirchliche sonstige Aufgaben zu verwenden. Wenn man das dann bilanziert, kommt so eine Summe heraus. Was das konkret heißt, sei mal dahin gestellt.
domradio.de: Gebunden heißt beispielsweise in Grundstücken?
Heimann: Ja, genau.
domradio.de: Die Kirche ist auch so reich, weil der Staat sie in Deutschland heftig unterstützt, zum Beispiel die Bischöfe bezahlt oder die Kirchensteuer einsammelt. Da kann man doch die Menschen verstehen, die nichts mit Kirche am Hut haben, und jetzt rufen: Schluss damit! Die Kirche hat ohnehin Geld genug, oder?
Heimann: Da muss man vielleicht etwas genauer hingucken. Es kommt darauf an, ob man diese Frage der Kirche überlässt. Eigentlich müsste die Kirche entscheiden, wieviel Geld sie haben möchte im Zusammenspiel mit ihren Gläubigen und was dann eben Leute, die gar nicht der Kirche angehören, damit zu tun haben. Es gibt einerseits die Kirchensteuer, die ist eigentlich eine modifizierte Art, wie man Beiträge für die Kirche bekommt. Daneben gibt es tatsächlich noch diese historisch begründeten Staatsleistungen aus Säkularisationsverlusten der Kirche, bei denen natürlich heute die Legitimität schwierig zu begründen. Da wäre ja auch meine Idee, dass die Kirchen sich überlegen sollten, hier einvernehmlich mit dem Staat eine Beendigung dieser zusätzlichen Leistungen zu bewirken. Bei der Kirchensteuer sieht das aus meiner Sicht anders aus.
domradio.de: Das System ist ja in Deutschland so, dass der Staat für die Kirche das Geld einsammelt. Das ist in den europäischen Nachbarstaaten ja ganz anders. Warum ist das in Deutschland so?
Heimann: Das Verhältnis von Staaten und Religionen ist praktisch in allen Staaten Europas ganz anders. Es gibt laizistische Systeme, die eine ganz starke Trennung haben. Es gibt staatskirchliche Systeme bis heute in den skandinavischen Ländern, auch in Großbritannien, die eine ganz enge Verzahnung haben. Bei uns haben wir ein spezifisches System, auch mit unserer dualistischen Erfahrung zwischen den beiden großen Konfessionen herausgebildet, auch in sehr vielen Konflikten ja herausgebildet. Das Kirchensteuersystem ist vor längerer Zeit entstanden als Ausdruck dessen, dass der Staat sich aus den Kirchen zurückgezogen hat, insbesondere aus der protestantischen Kirche. Man benötigte eben eine Ersatzfinanzierung und das hat man dann in Form dieser Kirchensteuern entwickelt.
domradio.de: In gut zehn Jahren sind laut Schätzungen nicht einmal mehr die Hälfte der Einwohner in Deutschland katholisch oder evangelisch - muss da diese Verzahnung von Kirchen und Staat in Deutschland nicht grundlegend überdacht werden?
Heimann: Beispielsweise bei der Kirchensteuer ist das Ganze ja etwas, was entstanden ist vor dem Hintergrund von zwei großen Kirchen und dem Staat, was aber nicht auf diese beiden Kirchen beschränkt ist. Auch andere Religionsgemeinschaften, beispielsweise jüdische Gemeinschaften, erheben solche Kultus-, Religionssteuern. Meine Prognose wäre eher die, dass eine stärkere Vergemeinschaftung auch von anderen Religionen passiert: Konkret des Islam und dann eben eher der Bezug von Religionssteuern auch auf weitere Gemeinschaften ausgeweitet wird.
domradio.de: Sie beschäftigen sich in ihrem Buch mit dem Verhältnis von Staat und Kirche. Ihr Buch heißt "Deutschland als multireligiöser Staat". Ich frage das jetzt mal provozierend: Ist es dann noch gerechtfertigt, wenn eine Religion - nämlich das Christentum - den Ton angibt?
Heimann: Man könnte sich überlegen, ob das wirklich so ist, aber letzten Endes sind alle Religionen "gesellschaftliche Diskursteilnehmer". Die Christen, die beiden Kirchen eben auch. Warum sollen sie nicht da, wo sie tätig sind, versuchen, ihren Ton anzugeben? Das ist glaube ich nicht verwerflich, sondern ganz normal. Wenn es der Lebenswirklichkeit einer größeren Menge der Menschen gerecht wird, warum denn nicht?
domradio.de: Wenn die Nonne als Religionslehrerin in ihrem Habit unterrichtet - dann darf die muslimische Lehrerin das doch auch mit Kopftuch tun?
Heimann: Ja, das Bundesverfassungsgericht hat sich dazu ja geäußert und gesagt, religiöse Symbole sind in der Schule bei Lehrerinnen erlaubt und natürlich bedeutet der multireligiöse Staat, dass der Staat religiös neutral ist. Das heißt, er ist gegenüber allen Religionen gleich neutral. Damit können sowohl Musliminnen mit Kopftuch unterrichten als auch Nonnen in ihrem Habit.
domradio.de: Wie ist Ihre Einschätzung, wird sich das Kirchensteuersystem, so wie es jetzt in Deutschland funktioniert, wird sich das ändern? Wird der Staat in zwanzig Jahren in Deutschland noch die Kirchsteuern für die Kirchen einsammeln?
Heimann: Ja, ich glaube schon, denn die Frage der Kirchensteuern ist nicht davon abhängig, wieviele Kirchenangehörige es gibt. Es ist ein System, das zur Verfügung gestellt wird, eine Serviceleistung des Staates sozusagen - an der, der Staat auch verdient. Wenn die Kirche es so haben möchten - was sie nicht müssen - dann glaube ich, dass es dieses System weiterhin geben wird. Wahrscheinlich sogar für mehr Religionsgemeinschaften als heute.
Das Interview führte Tobias Fricke.