Der "jüngste Staat der Erde" hat am 9. Juli seinen fünften Geburtstag. Doch der Bevölkerung des Südsudan ist am Jahrestag der Staatsgründung nicht zum Feiern zumute, wie Hilfsorganisationen berichten. Drohende Hungersnot, bürgerkriegsähnliche Zustände und eine schwierige wirtschaftliche Situation setzen den Einwohnern des afrikanischen Landes zu.
Leben in ständiger Angst
"Mein Land hat keine großen Fortschritte gemacht in den letzten fünf Jahren", sagte Adakien Nour der Kinderhilfsorganisation Word Vision. Unsicherheit sei das größte Problem. In ihrem Heimatdorf im Bundesstaat Unity sei sie mit ihren vier Kindern zwischen die Fronten im Konflikt zwischen Präsident Salva Kiir und seinem Rivalen Riek Machar geraten. "Meine Kinder sind noch nie zur Schule gegangen und leben in ständiger Angst, denn wir sind in den letzten beiden Jahren von Camp zu Camp geflüchtet. Wir wissen nie wann und wo die nächsten Kämpfe ausbrechen können", so die Südsudanesin.
Zehn Monate nach dem offiziellen Ende des Bürgerkrieges bleibt der Frieden laut Oxfam äußerst fragil. Die Regierung solle die Vereinbarungen umsetzen und dringend benötigte Wirtschaftsreformen durchführen, fordert die Entwicklungsorganisation. "Die internationale Gemeinschaft, die maßgeblich zum Zustandekommen des Friedensabkommens beigetragen hat, muss streng darauf achten, dass die Bevölkerung des Südsudans sich stärker politisch beteiligen kann", ergänzt der zuständige Oxfam-Landesdirektor Zlatko Gegic. Auch Frauen sollen laut Care stärker eingebunden werden.
Neue Fluchtwelle
Vor wenigen Tagen berichtet Ärzte ohne Grenzen von einer neuen Fluchtwelle nach Kämpfen in der Stadt Wau. World Vision-Mitarbeiterin Stefanie Glinski erklärt, dass jeder fünfte Südsudanese seit Ausbruch des Bürgerkrieges im Dezember 2013 aus seinem Heimatort geflohen sei.
"Die Zufluchtsorte sind oft für Hilfsorganisationen schwer erreichbar", sagt Glinski nach ihrem Besuch vor Ort. Zwei Drittel der Flüchtlinge seien unter 18 Jahre alt. "Man kann sich kaum vorstellen, wie sie tage- oder auch wochenlang mit wenig Wasser und Essen um ihr Leben laufen." Der Rauch von Feuer erinnere viele Kinder sofort an abgebrannte Häuser und ermordete Familienmitglieder.
Astronomische Preise
Die Bildung einer Übergangsregierung, der weiterhin Salva Kiir vorsteht, sei ein Hoffnungsstrahl für die Menschen gewesen, erläutert Fred McCray vom Hilfswerk Care. Jedoch leide die Zivilbevölkerung weiterhin unter doppelter Unsicherheit: "Die anhaltende Gewalt hindert sie daran, selbst Nahrung anzubauen oder zum Markt zu gehen. Und selbst wenn dies möglich wäre: Die astronomischen Preise kann sich kaum jemand mehr leisten." Das Statistikamt des Südsudan habe kürzlich die Inflationsrate auf 295 Prozent geschätzt.
Problematisch ist laut Care auch, dass derzeit eine Jahreszeit herrsche, in der aufgrund des Klimas weniger Nahrung produziert werden kann. Im Land sind laut Oxfam bis Ende 2016 voraussichtlich 6,1 Millionen Menschen auf humanitäre Unterstützung angewiesen. Dafür hätten die Vereinten Nationen etwa 1,17 Milliarden Euro veranschlagt, von denen bislang 39 Prozent zugesagt seien. Die fehlenden Mittel müssten von den Geberländern möglichst schnell bereitgestellt werden, unterstreicht Oxfam.
Harte Arbeit erforderlich
"Im Südsudan ist nicht nur viel politischer Wille, sondern auch harte Arbeit erforderlich, um spürbare Fortschritte zu erreichen, die die Menschen neben humanitärer Hilfe dringend brauchen", sagt Ekkehard Forberg von World Vision. Der nationale Friedensprozess sollte auch durch lokale Initiativen zur Versöhnung von unten verstärkt werden. "Eine gute Strategie zum Aufbau eines Staates nach einem Konflikt hat die internationale Gemeinschaft bisher leider nicht gefunden", so der Friedensexperte.
Die Südsudanesin Nour profitiert zwar von einer durch eine Hilfsorganisation gestellte Wasserpumpe und gespendetem Mehl für Brot, "doch unser Leben ist hart und ich fürchte um das Leben meiner Kinder", sagt sie - fünf Jahre nach der Unabhängigkeit.