domradio.de: Auch Sie hat es ein bisschen überrascht, was da heute Nachmittag passiert. Normalerweise hat man es mit Junggesellenabschieden zu tun oder mit Traditionsdemonstranten, die ihre kleinen Eckchen vorbereiten und immer ein Thema haben, dass Sie stoisch Woche für Woche präsentieren. Heute dagegen fand sich natürlich wegen der Ereignisse in der Türkei eine große Gruppe mit roten Fahnen auf dem Roncalliplatz ein. Wussten Sie davon? Mussten die sich vorher mal bei Ihnen melden, wenn die hier demonstrieren wollen?
Domdechant Msgr. Robert Kleine: Das wäre schön! Nein, nein, ich wusste davon nichts. Bei mir melden müssen sie sich natürlich nicht, wenn sie dort demonstrieren wollen. Es passiert ja oft, dass jemand auf der Domplatte demonstriert. Ich hatte heute Mittag schon gesehen, dass eine wohl kurdische Gruppe vor dem Hauptportal stand; auch mit einigen Fahnen von Öcalan. Sie haben dort gesungen und getanzt. Die waren also schon da, bevor ich in den Dom zu einer Taufe gegangen bin. Nach der Taufe kam ich zurück, ging in mein Büro hier im Domforum und sah auf dem Roncalli-Platz eine andere Gruppe: Ein rotes Fahnenmeer mit der türkischen Nationalflagge. Plötzlich setzte sich dieser Zug in Bewegung Richtung Domplatte, Haupteingang.
Türkische Demonstration trifft auf kurdische Gruppe
domradio.de: Wir haben nur gehört, dass es immer lauter und lauter wurde. Das drang dann auch ganz schnell durch die Mikrofone in unsere Radiosendung. Auch Polizeisirenen wurden immer mehr. War der Tross der roten Fahnen auch von Polizei begleitet oder konnten die sich ganz frei bewegen?
Kleine: Soweit ich das gesehen habe, waren auch einige Polizisten zur Aufsicht mit auf dem Roncalli-Platz dabei. Ob das jetzt eine angemeldete Demonstration war – das kann ich nicht nachvollziehen. Ich habe keine Polizei an der Spitze gesehen, sondern der Zug kam über die Enge am Springbrunnen vom Roncalli-Platz auf die anderen Demonstranten zu, die ja eine ganz andere Politik vertreten. Die Kurden kritisieren ja sehr hart den türkischen Staat und Erdogan. Dann trafen die plötzlich aufeinander. Aber auch bei der kurdischen Demonstrationsgruppe war dann Polizei. Dennoch wurde alles irgendwie sehr laut und aggressiv. Es sind noch vier Polizeiwagen dazugekommen und schließlich wurden die beiden Demonstrationen voneinander durch eine Mauer von Polizisten getrennt.
Polizeimauer schützt vor Eskalation
domradio.de: Große Menschenaufläufe und wenig Polizei: Es wird sofort reflexartig der Silvesterabend wieder in den Hinterkopf gerufen. Hatten Sie auch so ein kurzes Gefühl von: "Na, wenn die mal alles hier im Griff haben?"
Kleine: Das hatte ich so nicht! Also die Polizei war ja dann auch sehr schnell präsent. Ich glaube, man hat das so nicht eingeschätzt, da die türkische Demonstrationsgruppe zuerst ganz friedlich auf dem Roncalli-Platz versammelt war und auch friedlich zog. Die haben sich wohl gegenseitig aufgeheizt, angeschrien und dann jeweils auch lauter skandiert. Die einen hatten eine Mikrofonanlage dabei und haben damit geredet. Dann wurden einige auch sicherlich aggressiv. Es gab ein, zwei Rangeleien. Dabei ist es aber dann auch geblieben. Nichts Schlimmeres. Es sind wohl zwei Wasserflaschen in Richtung der kurdischen Demonstranten geflogen. Und dann stand man dort einige Zeit. Es wurde weiter laut skandiert und mehr Polizei kam dazu. Danach ist die Gruppe der türkischen Demonstranten Richtung Hauptbahnhof abgezogen. Sie blieb noch einmal so in Höhe des Nordturms stehen und ist dann wohl auf den Bahnhofsvorplatz gezogen.
domradio.de: Ich weiß nicht wie es um Ihre Türkischkenntnisse steht, aber war für sie erkennbar, was im Detail skandiert wurde?
Kleine: Also die kurdischen Demonstranten schreien auch auf Deutsch, sodass man das auch verstehen konnte. Es ging darum, dass sie die Regierung der Türkei als Faschisten bezeichneten, die auch mit dem IS kollaborieren würden. Sie gehen auf die Unterdrückung der Kurden ein. Auf der anderen Seite wurde viel "Türkiye" gerufen, also in der türkischen Sprache der Name ihres Landes. Es waren auch Plakate von Erdogan zu sehen, das heißt, diese Demonstrierenden freuten sich, dass der Putsch gescheitert ist und wollten eine Demonstration für ihren Präsidenten abhalten. Das waren dann eben sehr zentral entgegengesetzte Meinungen.
Das Gespräch führte Daniel Hauser.