domradio.de: So eine richtige Exkommunikation wie aus den Geschichtsbüchern beispielsweise beim Bußgang nach Canossa ist das ja nicht, manche nennen sie "Exkommunikation light". Was heißt das genau? Was passiert, wenn jemand aus der Kirche austritt?
Jan Hendrik Stens (Liturgieredakteur bei domradio.de): Die Problematik ist tatsächlich ein wenig heikel. Aus theologischer Sicht gibt es eigentlich gar keinen Kirchenaustritt. Das bedeutet, wer getauft ist, der bekommt damit ein unauslöschliches Prägemal, das auch nicht wieder auszuwischen ist. Selbst wenn man exkommuniziert ist, bleibt man eigentlich katholisch. Das klingt vielleicht ein wenig merkwürdig, ist aber so.
domradio.de: Bei Priestern ist es ja auch so. Wenn sie aus irgendwelchen Gründen aus dem Dienst geschieden sind, bleiben sie dennoch für immer Priester, oder?
Stens: Richtig. Es gibt zwar so etwas wie eine nachträgliche Laisierung, aber selbst das ist nicht unumstritten. Sie dürfen nämlich im Fall von Todesgefahr weiterhin die Sakramente spenden. Für den Staat ist es allerdings schwierig. In einem Staat, der weltanschaulich neutral sein will, wo Religionsfreiheit vorherrscht und wo man auch aus einer Körperschaft des öffentlichen Rechts wie der katholischen Kirche austreten kann, muss es das geben. Hier stößt die theologische mit der staatsrechtlichen Sichtweise aufeinander.
Bis zum Jahr 2012 galt es für denjenigen, der vor dem Standesbeamten seinen Austritt aus der katholischen Kirche, dass er sich die Tatstrafe der Exkommunikation automatisch zuzog und damit seine Rechte aufs Äußerste eingeschränkt sah. Die Beweggründe für den Austritt interessierten da nicht, und genau das war der Kritikpunkt von Kirchenrechtlern.
So hat es einen Fall des emeritierten Kirchenrechtprofessoren Hartmut Zapp gegeben, der einerseits bekundete, er trete nur aus der Körperschaft des öffentlich Rechts "Katholische Kirche" aus, möchte aber nach wie vor in der Glaubensgemeinschaft bleiben. Damit hat er genau diesen wunden Punkt getroffen. Es gab nämlich zwischen Rom und der katholischen Kirche in Deutschland eine lange Auseinandersetzung kirchenrechtlicher Art. Denn eine Exkommunikation erfolgt in diesem Fall nur dann, wenn man den Glauben der katholischen Kirche ablehnt oder einzelne Glaubenswahrheiten beharrlich leugnet oder dem Gehorsam zu Papst und Bischöfen die Gefolgschaft verweigert.
domradio.de: Gibt es dafür Beispiele? Was sind normalerweise Gründe, weswegen man exkommuniziert wird?
Stens: Ein Grund ist der Bruch des Beichtgeheimnisses, der die Exkommunikation nach sich zieht. Es gibt auch ein Beispiel aus jüngerer Zeit. Es hat aus dem Bereich "Wir sind Kirche" in Österreich ein Ehepaar gegeben, das simulierte Eucharistiefeiern abgehalten hat. Das hat durchaus Ärger gegeben. Es hat auch von der zuständigen Diözese Einspruch gegeben. Schließlich ist es so weit gekommen, weil sich das Ehepaar auch uneinsichtig gezeigt hat, dass sie exkommuniziert wurden.
In dieser Hinsicht muss man die Exkommunikation als eine Art Beugestrafe sehen. Sie ist also nicht dazu da, einen auf immer und ewig zu verdammen, sondern um den Betroffenen zur Einsicht zu bewegen, dass er von seinem Verhalten ablässt, um letztendlich wieder in die volle Gemeinschaft der Kirche zurückzukommen. Das heißt, mit der Exkommunikation sind also gewisse Dinge verbunden, auf die man dann zu verzichten hat, wie zum Beispiel der Empfang der Sakramente der Buße, Eucharistie, Firmung, Krankensalbung oder auch das Bekleiden von kirchlichen Ämtern, Tauf- und Firmpatenamt sowie die Mitwirkung in Pfarrei- und Diözesanräten.
domradio.de: Bei der Neuregelung zum Austritt aus der katholischen Kirche hat man von einer "Exkommunikation light" gesprochen. Was heißt das?
Stens: Ja, so hat es Matthias Drobinski in der Süddeutschen Zeitung formuliert. Die Auseinandersetzung zwischen der katholischen Kirche in Deutschland und dem Kirchenrechtler Hartmut Zapp, der selber als Katholik keine Kirchensteuern mehr zahlen wollte, sowie die Uneinigkeit mit Rom führte 2012 dann doch zu einem ausgehandelten Kompromiss zwischen Bischofskonferenz und dem Päpstlichen Rat für die Gesetzestexte.
domradio.de: Wie sah die Einigung aus?
Stens: Jetzt ist nicht mehr die Rede von einer Exkommunikation, sondern lediglich von Rechtsfolgen, die in Kraft treten, wenn man aus der Kirche austritt. Das Ganze gilt nur für Deutschland. In einem Dekret ist festgehalten, dass, wenn man aus der Kirche austritt, unter anderem der Empfang der Sakramente ausgeschlossen ist.
domradio.de: Das heißt konkret?
Stens: Wer austritt, darf weder beichten noch die Kommunion, die Firmung oder die Krankensalbung empfangen. Für eine kirchliche Hochzeit braucht er die Erlaubnis des Bischofs und muss versprechen, mögliche Kinder katholisch zu erziehen. Und auch das kirchliche Begräbnis kann demjenigen verweigert werden.
domradio.de: Ist das denn so anders als bei der Exkommunikation?
Stens: Nein, eigentlich ist es – bis auf wenige unbedeutende Ausnahmen – genau das Gleiche, nur eben der Begriff fällt hier nicht. Das heißt: Hiermit ist man kirchenrechtlich wieder auf der sicheren Seite. Nur vom Nettowert ändert sich nichts.
domradio.de: Gar nichts?
Stens: Außer, dass ein Brief verfasst wird, der an denjenigen geht, der ausgetreten ist. Und zwar um ihn zu einem Gespräch zu bitten, um seine Motivation zu prüfen. Ist es aus finanziellen Gründen geschehen oder fällt hier jemand tatsächlich vom Glauben ab?
domradio.de: Also es ändert sich nichts, außer Post, die reinflattert? Warum das alles?
Stens: Dadurch, dass sich netto nichts ändert, kritisieren nicht wenige, es scheine den deutschen Bischöfen doch vor allem um das Geld zu gehen. Das haben auch Kirchenrechtler gesagt. Ich habe hier einen Artikel vom Freiburger Kirchenrechtler Georg Bier, dem Nachfolger von Zapp, den er in der Herder-Korrespondenz veröffentlicht hat. Er schreibt, wie unverhältnismäßig das Vorgehen mit einer Quasi-Exkommunikation als einer Quasi-Strafe sei, wohingegen Häresien und Ungehorsam so gut wie gar nicht geahndet würden. Es sei zwar durchaus richtig, wer keine Kirchensteuern zahlen wolle, der solle auch in keinem kirchlichen Rat mitwirken. Damit auch den Zugang zu den Sakramenten zu verwehren, scheine nicht plausibel.
domradio.de: Wie wurde denn das Schreiben aufgenommen?
Stens: Auch das ist stark kritisiert worden aufgrund der Schärfe der Formulierungen, da in erster Linie die Negativfolgen des Kirchenaustritts aufgelistet wurden. Dann ist noch mal eine Alternativ-Version verfasst worden, die ein wenig milder klingt. Hier äußern sich die Autoren auch besorgt um denjenigen, der austreten will.
Fakt ist allerdings: Es gibt keinen partiellen Austritt in Deutschland. Wer die Kirche verlässt, der zieht auch die entsprechenden Strafen auf sich. Nicht so wie Zapp das gesagt hat: "Ich trete zwar aus der Körperschaft des öffentlichen Rechts aus, aber bleibe dennoch in der Glaubensgemeinschaft." Aber wie gesagt, hier prallen Welten aufeinander: die weltliche, die staatsrechtliche und theologische Auffassung. Das musste man in einen Einklang bringen und das hat man 2012 versucht. Allerdings nicht ganz ohne, dass auch beim Hobeln Späne gefallen sind.
Das Interview führte Christoph Paul Hartmann.