Wachsende Kritik an Islamverbänden in Deutschland

Appell für politischen Neuanfang

Die Kritik an den Islamverbänden in Deutschland nimmt zu. Der religionspolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, Volker Beck, fordert jetzt eine Neuausrichtung der Politik gegenüber islamischen Verbänden - und sieht darin auch eine Chance.

Vertreter der Islamverbände in Köln / © Henning Kaiser (dpa)
Vertreter der Islamverbände in Köln / © Henning Kaiser ( dpa )

In einem Beitrag für "Tagesspiegel online" kritisierte Beck eine "Verdruckstheit deutscher Religionspolitik". Die vier großen muslimischen Verbände erfüllten nicht die vom Grundgesetz geforderten Voraussetzungen an eine Religionsgemeinschaft. Ditib, Islamrat, Zentralrat der Muslime und Verband Islamischer Kulturzentren seien "in ihrer Zusammensetzung national, politisch oder sprachlich, nicht aber bekenntnisförmig geprägt".

Chance für politischen Neuanfang

Kritik an der Realität der Verbände sei "wegen der verbreiteten Islamfeindlichkeit und den religionsfeindlichen Hasskundgebungen" der rechtspopulistischen "Pro"-Gruppierungen, AfD und "Pegida" beschwiegen worden, schreibt Beck. Es sei gut, dass die deutsche Politik durch dem Umgang der Türkisch-Islamischen Union (Ditib) mit der Armenienresolution des Bundestages und mit den Repressionen in Folge des Putschversuches in der Türkei "aufgewacht ist und ihre Naivität ein Stück weit abgelegt hat". Dies biete die Chance für einen politischen Neuanfang.

Gespräche mit Ditib fortsetzen

Beck sprach sich dafür aus, Gespräche und Kooperationen mit der Ditib fortzusetzen. "Man muss nur wissen, mit wem man es zu tun hat: einem religiösen Verein mit politischer Identität, dessen Willensbildung maßgeblich von Ankara abhängt". Bislang habe vor allem die Ditib darauf gesetzt, dass die Politik sie "quasi im Schlafwagen ohne jeden Veränderungsbedarf in die gleichen Rechte wie die beiden großen Kirchen einsetzen wird". Hier müsse die Politik in der Deutschen Islam-Konferenz und auf Länderebene die klare Ansage machen: "Das werden wir nicht tun."

Der Abgeordnete forderte ein "klares Festhalten am deutschen Religionsverfassungsrecht ohne Rabatt". Eine Religionsgemeinschaft müsse sich nach bekenntnisförmigen Kriterien ausrichten. Eine solche Neuorganisation der Muslime würde aus ihren Organisationen keine Kirchen, "aber islamische Glaubensgemeinschaften in Deutschland machen". Dies werde ein längerer Prozess sein: "Damit würde der Islam in Deutschland tatsächlich ankommen."

Journalistin Balci kritisiert Islamverbände

Auch die Journalistin und Schriftstellerin Güner Yasemin Balci kritisiert die Islamverbände in Deutschland. "Die liberalen muslimischen Stimmen, die es gibt, arbeiten im Verborgenen, weil sie von uns als Gesellschaft und von der Politik nicht ausreichend geschützt werden", sagte sie der "Welt". Imame, die etwa keinen Widerspruch darin sähen, als Muslimin einen nichtreligiösen Freund zu haben, gingen "jeden Tag ein Risiko ein".

Unwissen über den Islam spielt dabei nach Einschätzung Balcis eine große Rolle. "Im evangelischen und katholischen Religionsunterricht kann man alles hinterfragen", erklärte sie. "Genau das gibt es im muslimischen Religionsunterricht nicht." Sie sprach sich für einen deutschlandweiten Islamunterricht aus, für den "ganz klare wissenschaftliche Standards" gelten müssten.

Weibliche Terroristen nicht immer verführte Opfer

Die Autorin, deren Roman "Das Mädchen und der Gotteskrieger" vor kurzem erschienen ist, warb zudem für eine andere Sicht auf weibliche Terroristen. Wenn sie als verführte Opfer betrachtet würden, sei dies "eine völlig verkürzte Wahrnehmung". Es gebe bei den Brigaden der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) "Frauen, die bereit sind, andere Frauen abzuknallen. Sie sind genauso Täter wie die Männer."

In manchen Milieus erlebten Musliminnen eine "vermeintliche Freiheit", so Balci. Dort herrsche "eine permanente Diskriminierung von Mädchen, die selbstbewusst und selbstbestimmt leben". Viele Mädchen gingen vielleicht in Diskotheken, suchten aber letztlich doch die Anerkennung ihrer Community. Wenn sie von IS-Kämpfern angesprochen würden, fühlten sie sich auserwählt. "Die Anwerber präsentieren den Mädchen ein Frauenbild, das den meisten in einer abgeschwächten Form in ihrer Sozialisation bereits begegnet ist." Rund 300 junge Frauen sollten Deutschland inzwischen Richtung Syrien verlassen haben.


Volker Beck / © Jörg Carstensen (dpa)
Volker Beck / © Jörg Carstensen ( dpa )
Quelle:
KNA , epd