domradio.de: Raúl Castro ist seit zehn Jahren an der Macht, welche Rolle spielt sein Bruder, Fidel, für die Kubaner noch?
Martin Lessenthin (Vorstandssprecher der Internationalen Gesellschaft für Menschrechte): Fidel Castro ist im Hintergrund immer noch stark vertreten. Er mischt sich nicht mehr in die Tagespolitik ein, dafür sind Raúl und jüngere Politbüromitglieder zuständig. Dennoch ist Fidel Castro noch in der Lage, aus dem Hintergrund heraus zu bremsen und symbolische Handlungen zu begehen. Er zeigt damit, was er von der Tagespolitik hält. Die letzte symbolische Maßnahme Castros war das ostentative Desinteresse an Barack Obama. Er hat ihn bewusst nicht getroffen, als dieser auf der Insel war. Im Gegenzug hat er sich aber vorsätzlich mit dem Papst getroffen.
domradio.de: Fidel Castro wird diesen Samstag 90 Jahre alt. Weiß man, wie es ihm gesundheitlich geht?
Lessenthin: Es ist sehr schwer, seine Gesundheit von Deutschland aus zu beurteilen. Die kubanische Seite informiert hier auch nicht über Details. Fakt ist, dass Castro seinen Geburtstag teilweise öffentlich begehen wird. Ebenso wissen wir, dass die Bevölkerung, insbesondere natürlich die christlichen Aktivisten und Bürgerrechtler, die Gestalt Fidel Castro fürchtet. Sie sehen in ihm auch den großen Bremser. Was wir sonst noch von ihm wahrnehmen, sind seine Kolumnen und grundsätzlichen Betrachtungen der Geschichte, mit denen er sich an die Öffentlichkeit wendet. Fidel legt großen Wert darauf, dass seine Interpretation der Vorgänge der letzten Jahrzehnte die Stabsinterpretation Kubas bleibt.
domradio.de: Der Handel öffnet sich mehr und mehr gegenüber dem Westen, auch gegenüber dem ehemaligen Erzfeind USA. Obama war vor kurzem auch auf der Insel. Wie geht es denn den Menschen auf Kuba im Moment?
Lessenthin: Die Menschen wünschen sich nichts sehnlicher, als dass die kubanische Wirtschaft wieder in Schwung kommt. In der Bevölkerung ist die wirtschaftliche Öffnungspolitik von Raúl Castro sehr populär. Es kommt allerdings auch immer zu Enttäuschungen, wenn einige dieser Fortschritte wieder zurückgenommen werden, zum Beispiel für kleine Einzelhändler. Dieses geschieht, um den Staatshandel künstlich vor der Konkurrenz zu schützen. Obwohl das bedauerliche Rückschläge sind, sieht die kubanische Bevölkerung die Politik der Öffnung als Hoffnung und unterstützt sie. Kuba leidet dennoch an einem Bevölkerungsverlust, weil viele nicht mehr an den Wandel glauben. Die Menschen fliehen über Süd- und Mittelamerika und sitzen dann beispielsweise in Nicaragua fest. Andere fliehen sogar als "boat people" und werden von der amerikanischen Küstenwache aufgespürt und neuerdings zurück nach Kuba geschickt.
domradio.de: Es bewegt sich auch einiges für die Kirche auf Kuba. Welche Rolle spielt Papst Franziskus bei der Entwicklung?
Lessenthin: Der Papstbesuch war der Dritte in Folge. Die vergangenen drei Päpste haben spektakuläre Besuche auf der Insel gemacht und haben damit den Verdienst erworben, dass sich die katholische Kirche, die lange von Fidel Castro bekämpft worden ist, als Institution gestärkt sieht.
domradio.de: Nach dem letzten Papstbesuch wurde der Karfreitag in Kuba, einem kommunistischen Land, offiziell zum Feiertag ernannt. Ist das als Zeichen zu sehen?
Lessenthin: Raúl Castro zeigt mit diesem Symbol die Veränderung. Er konnte dieses Zeichen leichter gewähren als zum Beispiel die Zulassung von Betriebsgewerkschaften, lokalen politischen Alternativen oder gar Zeitungen und Radiostationen, da es für ihn kostenlos war. In Lateinamerika gibt es ein Netz von katholischen Radiosendern, Fernsehstationen und Zeitungen. Kuba hingegen ist in dieser Beziehung ein großer schwarzer Fleck. Dort gibt es noch nicht einmal ein fünfzigtausend umfassendes Auflageblatt, das aus dem katholischen Spektrum stammt und welches täglich erscheinen könnte. Natürlich gibt es auch keine Presse von Gegnern der kommunistischen Partei Kubas.
Immer noch herrscht eine harte Diktatur mit einem totalen Monopol auf der Veröffentlichung von Meinungen und die totale Kontrolle der Menschen. Ein "Blockward"-System überführt diejenigen, die aufbegehren. Diese Menschen werden mit harten Restriktionen belegt, ohne Rücksicht auf die Menschengruppe, aus der sie kommen. Das trifft die Pastoren für den Wandel genauso wie die "Allianz Cristiana", die "Damen in Weiß" oder die Bürgerrechtsbewegung "unpacu", die gemeinsam sonntags von Kirche zu Kirche gehen und ihren Protest für die Freiheit und die Freiheit politischer Gefangener kundtun. Das ist in Kuba auch heute noch Realität. Aus diesem Grund, ist der Tag, den wir am Samstag feiern, Fidel Castros Geburtstag, kein Feiertag, sondern ein trauriger Tag für die Kubaner.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.