domradio.de: Seit Juni haben Sie mit Ihren beiden Schiffen wieder die Mission auf dem Mittelmeer aufgenommen - und seitdem 11.500 Menschen gerettet. Erst in der vergangenen Woche konnten Sie wieder 400 Flüchtlinge aus dem Wasser holen - aber für einige kam die Hilfe auch schon zu spät...
Matthias Dentler (Deutschland-Sprecher Mittelmeer-Seenotrettung MOAS): Das ist leider richtig. Wir sind zur Zeit mit zwei großen Seeschiffen im Einsatz im zentralen Mittelmeer zwischen Libyen und Italien. Letzte Woche konnten wir da 400 Menschen retten. Allerdings sah unsere Crew auf dem Weg zu dem Rettungseinsatz plötzlich auf hoher See Menschen im Wasser schwimmen, die dann an Bord genommen wurden und uns berichteten, sie hätten sich mit acht syrischen Familien auf einem kleinen Holzboot aufgemacht, um in Europa Schutz zu suchen. Das Boot ist dann gekentert. Wir konnten leider nur 21 der ursprünglich 27 Passagiere retten.
domradio.de: Merken Sie das konkret an Ihrer Arbeit, dass die Mittelmeerflüchtlinge jetzt immer größeren Gefahren ausgesetzt sind?
Dentler: Ja, das merken wir auf jeden Fall. Die Menschen werden in immer größerer Zahl auf die Boote gepfercht. Auf den Gummischlauchbooten zum Beispiel waren im letzten Jahr bis zu 100 Personen, inzwischen werden da 160 Menschen draufgepresst. Auf den Holzbooten - das sind meistens ehemalige Fischerboote - waren im vergangenen Jahr bis zu 450 Menschen, das ist schon eine schier unfassbare Zahl. Aber inzwischen sind es bis zu 800! Und immer wieder ersticken Menschen in den Unterdecks oder werden schlicht und einfach zerquetscht.
domradio.de: Das sind alles Beweise dafür, wie wichtig Ihre Arbeit ist, oder?
Dentler: Ich glaube schon, dass es sehr wichtig ist, was wir da tun. Wir sind heute genau vor zwei Jahren das erste Mal ausgelaufen – und haben seither 25.000 Menschenleben gerettet.
domradio.de: Haben Ihre Helfer manchmal trotzdem das Gefühl "Was wir da machen, ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein!"?
Dentler: Nein, dieses Gefühl haben wir nicht. Es ist eher so, dass sich all die Arbeit selbst dann lohnen würde, wenn wir nur einen einzigen Menschen aus Seenot retten könnten. Wenn die Crew auf See ist, stellt sich die Frage nicht, ob es Sinn macht, dort zu sein. Die Not ist riesengroß und unsere Devise ist, dass egal was für ein Mensch jemand ist, egal welchen Glauben er hat oder welche Nationalität oder welche Sprache er spricht: Niemand sollte auf See sterben müssen.
domradio.de: Was macht das mit den Helfern, wenn Sie so direkt mit dem Leid, mit der Verzweiflung, mit der Todesangst dieser Menschen konfrontiert sind?
Dentler: Für die Helfer sind es tatsächlich sehr harte Einsätze. Sie müssen tagtäglich mit Extremsituationen umgehen und es gibt keine normalen Arbeits- oder Pausenzeiten. Die Einsätze finden rund um die Uhr statt. MOAS arbeitet ausschließlich mit erfahrenen und dementsprechend ausgebildeten Helfern, ob das nun Ärzte, Seeleute oder Seenotretter sind. Es ist wichtig, glauben wir, vorbereitet zu sein und in Extremsituationen die Nerven zu behalten: Wie spreche ich zum Beispiel mit Kindern, die gerade ihre Eltern verloren haben – oder mit Eltern, die gerade ihre Kinder haben sterben sehen? – Aber es gibt auch immer wieder große Glücksmomente.
Wenn die Menschen überglücklich sind, bei uns an Bord in Sicherheit zu sein. Und nach medizinischer Notversorgung und trockener Kleidung und Verpflegung wollen sie dann meist nur eins: In Sicherheit einfach nur schlafen.
domradio.de: Der Kölner Erzbischof Woelki ist Ihrer Organisation sehr verbunden - er hat den Erlös der Aktion "23.000 Glockenschläge" für MOAS gespendet, zuletzt auch statt Geschenke zu seinem 60. Geburtstag um Spenden für MOAS gebeten und außerdem ein von MOAS vermitteltes echtes Flüchtlingsboot im Kölner Dom aufstellen lassen. Eine gute Idee?
Dentler: Auf jeden Fall eine gute Idee. MOAS wird ja ausschließlich durch private Spenden finanziert und deshalb ist es für uns entscheidend, dass über unsere Arbeit berichtet und darüber gesprochen wird. Kardinal Woelki und das Erzbistum Köln gehören zu unseren treuesten Unterstützern. Für das MOAS-Team ist die Anteilnahme an unserer Arbeit eine große und wichtige Motivation. Wir sind Kardinal Woelki und allen Unterstützern aus dem Erzbistum Köln natürlich sehr dankbar. MOAS kann nur weiter auf See sein, wenn wir auch Spenden aus der Zivilbevölkerung erhalten.
Das Interview führte Tommy Millhome.