"Wie übersetzt man Prophet?" Claudio Ettl gibt sich selbst die Antwort: "Ein Mensch, der in seinem Herzen mit Gott redet. Der Prophet erzählt den Menschen, was Gott zu ihm sagt." Der Bildungsreferent an der Akademie Caritas-Pirckheimer-Haus in Nürnberg stellt sich immer dann solche Fragen, wenn ein Text aus dem Evangelium übersetzt werden soll - und zwar in sogenannte Leichte Sprache für Menschen mit geistiger Behinderung oder eingeschränktem Sprachvermögen.
Seit drei Jahren gibt es die Sonntagsevangelien für sie online. Nun wird am Samstag auf der Frankfurter Buchmesse die erste gedruckte Bibel in Leichter Sprache vorgestellt.
Projekt aus Behindertenarbeit hervorgegangen
Das Projekt ging aus einer Initiative der Franziskanerin Paulis Mels hervor, die schon lange in der Behindertenarbeit tätig ist. Während eines Praktikums im Caritas-Pirckheimer-Haus erzählte sie Ettl, der Bamberger Diözesanleiter für das Katholische Bibelwerk ist, von ihren Übersetzungen. Ettl nahm Kontakt zur Zentrale des Bibelwerks auf.
Referent Dieter Bauer griff die Idee auf. So entstand das Online-Projekt, das seit drei Jahren die Evangelien des jeweiligen Lesejahrs übersetzt und kostenlos zur Verfügung stellt.
Etwa zehn Wochen dauert es, bis eine Übersetzung steht. Das liegt zum einen an dem aufwendigen Verfahren. Denn die Texte in Leichter Sprache müssen mehrfach mit der Zielgruppe, also Menschen mit geringerem Sprachvermögen, gecheckt werden. Ettl nennt das Prüflesen.
Dafür sind neben Menschen mit Behinderung einer Einrichtung in Vreden bei Münster auch eine Mitarbeiterin der Nürnberger Akademie mit Down-Syndrom zuständig. "Da bekommst du ganz unvermittelt Reaktionen und kannst dann die Fragen nacheinander durchgehen."
Verständlichkeit als oberstes Ziel
Voraussetzungen für einen guten Text in Leichter Sprache sind nicht nur kurze Wörter und Sätze, die Wiederholung derselben Begriffe und eine einfache Sprache, sondern auch eine eindeutige Aussage sowie positive Formulierungen. Oberstes Ziel ist die Verständlichkeit, so Ettl. Das stellt Theologen wie ihn und Dieter Bauer vor Herausforderungen. Denn Bibeltexte leben nicht nur von Mehrdeutigkeit, sondern auch von Gleichnissen und Bildern, die Jesus verwendet. "Wir müssen uns klar werden, was die Grundaussage ist."
Diese Arbeit der Auslegung und Anpassung sei "theologisch höchst herausfordernd", sagen sie. Manches muss da umbenannt werden, um an das Leben der Leser anzuknüpfen. So seien Polizisten für viele Menschen mit Behinderung positiv besetzt, als Garant für Schutz und Gerechtigkeit. Deshalb wird etwa im Gleichnis vom ungerechten Richter im Lukasevangelium aus dem Richter ein Polizist.
Solche auffälligen Eingriffe in einen heiligen Text mögen manchem als unzulässig erscheinen. "Sie sind aber mitunter unvermeidlich, wenn wir die biblischen Texte auch für Menschen mit Lernschwierigkeiten verständlich machen wollen", ist Ettl überzeugt. Er verweist dabei auf Jesus. Der habe mit seinen Bildern aus der Lebenswelt der Menschen versucht, möglichst viele von ihnen zu erreichen. Dieses Ziel gelte auch noch heute.
Eigenes Bild für jeden Sonntag
Zudem liegen den Texten erläuternde Anmerkungen bei, in denen die Änderungen offengelegt werden. Für jeden Sonntag gibt es auch ein eigenes Bild, denn die Illustration der Aussage ist auch eine Vorgabe für Leichte Sprache. All das gab es bisher nur online und wird es für alle drei Lesejahre A, B und C auch weiter kostenlos geben, wie Ettl versichert. Doch die Macher der Bibel in Leichter Sprache bekamen immer wieder die Frage gestellt, ob es das nicht auch gedruckt gäbe.
Sie haben reagiert. Nun gibt es den ersten Band für ein komplettes Lesejahr in Buchform. Das sei aber kein Ersatz für die neue Einheitsübersetzung, betont der Theologe. Die Evangelien in Leichter Sprache werden nicht nur in der Behindertenarbeit eingesetzt, wie die Initiatoren rund um das Bibelwerk aus dem Feedback auf der Website wissen. Auch bei der Betreuung von Migranten oder in der Alten- und Kinderarbeit werden die Texte verwendet. "Eine Frau schrieb sogar, dass sie sie als Einstimmung für den Gottesdienst jeden Sonntag liest."