Ein Jahr nach dem Terror in Paris sitzt der Schock weiter tief

Das Trauma bleibt

An diesem Sonntag jährt sich der Tag, an dem in Paris 130 Menschen von Terroristen getötet und 351 verletzt wurden. Viele Angehörige und Opfer leiden weiter unter den Folgen. Ihr Leben hat sich grundlegend verändert.

Autor/in:
Franziska Broich
Kerzen für die Opfer von Paris / © Daniel Karmann (dpa)
Kerzen für die Opfer von Paris / © Daniel Karmann ( dpa )

Einfach ein Buch lesen im Straßencafe und das Leben genießen. Für Caroline Langlade (30) ist das schwierig geworden. Der Straßenlärm lässt sie aufschrecken. Es fällt ihr schwer, sich zu konzentrieren. Langlade war in der Konzerthalle "Bataclan" am Abend des 13. November 2015.

Zusammen mit 40 anderen versteckte sie sich drei Stunden lang in einem kleinen Nebenraum. Einer der Terroristen versuchte die Tür aufzustoßen, doch sie hielt stand. Die Luft war knapp, es war dunkel. Bis heute ist Langlade nicht ins Kino gegangen.

Der geschlossene Raum, die Dunkelheit voller unbekannter Menschen - das macht ihr Angst. Aber sie schweigt nicht. Zusammen mit anderen Opfern und Angehörigen gründete sie den Verein "Life for Paris" (Leben für Paris).

Viele Opfer leiden unter posttraumatischem Stress

Der Verein unterstützt Opfer und Angehörige. Schätzungen zufolge leiden etwa 700 Menschen infolge der Attentate an einem Trauma. Der 13. November hat ihr Leben grundlegend verändert. Manche können nicht mehr arbeiten, andere stottern oder haben Platzangst, einige nahmen sich das Leben. Als Präsidentin des Vereins "Life for Paris" setzt Langlade sich dafür ein, dass psychische Verletzungen genauso entschädigt werden wie körperliche.

Es gebe nur wenige Menschen, die heute etwa Herzbeschwerden hätten, sagte Langlade der französischen Zeitung "La Croix". Viele Opfer litten jedoch unter posttraumatischem Stress. Krankenkassen übernähmen aber nur Therapiestunden beim Psychologen, viele andere anerkannte Therapien nicht. "Opfer müssen die Wahl haben", sagt Langlade.

Zu Wochenbeginn präsentierte eine Arbeitsgruppe der Rechtsanwaltskammer Paris ein "Weißbuch" für die Reform der Opferentschädigung. Es soll zwei Veränderungen geben. Opfer von terroristischen Anschlägen sollen nun auch für durch Angst verursachte Beschwerden entschädigt werden; Angehörige für die Probleme, die durch "Warten und die Ungewissheit" hervorgerufen wurden.

"Wie ein Hindernisparcours"

Für Katastrophenfälle ist dies bereits offiziell anerkannt, für terroristische Anschläge bislang nicht. Die Behörden nehmen diese Überlegungen aber bereits in ihre Analysen mit auf. Die Staatssekretärin für Opferhilfe, Juliette Meadel, fragte bei der Präsentation der geplanten Änderungen, wie man nicht verstehen könne, dass es ein schlimmes Trauma für einen Menschen nach sich ziehen könne, wenn er stunden- oder tagelang nicht wisse, ob eine nahestehende Person einen Anschlag überlebt habe.

"Die Entschädigung der Opfer ist extrem komplex und gestaltet sich wie ein Hindernisparcours", sagt Langlade der französischen Wochenzeitschrift "Paris Match". So stelle sich etwa die Frage, wer entschädigt werden solle - nur jemand, der sich im Gebäude befand oder auch jemand, der wenige Meter davor stand?

Frankreichs Staatspräsident Francois Hollande hat eine Reform des "Garantiefonds für Opfer von Terrorakten und anderen Verbrechen" (FGTI) angekündigt. Derzeit ist der Fonds mit 1,4 Milliarden Euro ausgestattet. Wer soll wie viel erhalten? Die Staatssekretärin für Opferhilfe Meadel schlug eine Skala mit festem Betrag pro Schaden vor. Im Raum stehen 10.000 Euro für ein psychologisches Trauma und 40.000 für ein Kind, das ein Elternteil verloren hat.

Gerechte Entschädigung wird schwierig

Eins steht fest: Eine gerechte Entschädigung wird schwierig. Das Leben hat keinen Preis. Außerdem geht jeder anders mit dem Schicksal um. Erick und Sylvie Petard haben ihre beiden Töchter verloren. Anna (24) und Marion (27). Mit einer Freundin saßen sie am 13. November auf der Terrasse der Bar "Le Carillon". Marion sei eine talentierte Flötistin gewesen, sagten die Eltern "Paris Match". Anna blühte im Grafikdesign auf. Ihre Freundin überlebte, kann jedoch bis heute nicht sprechen.

Für Erick und Sylvie hat sich das Leben verändert. Ihre Metzgerei haben sie verkauft, weil sie nicht mehr konnten. Der Großvater weinte nach dem Anschlag jeden Tag. Im Juli starb er am Kummer. 4.000 Briefe erreichten das Ehepaar seit dem Attentat, Unterstützung und Worte des Mitgefühls. Erst diese Woche haben sie ein Gedicht ohne Absender erhalten. Und der neue Kindergarten im Ort trägt den Namen "Anna und Marion".


Quelle:
KNA