domradio.de: Vier Kardinäle schreiben einen kritischen und jetzt auch offenen Brief an den Papst: Ist das normal oder ziemlich ungewöhnlich?
Thomas Jansen (Leiter des Büros der Katholischen Nachrichten-Agentur in Rom): Das ist doch eher ungewöhnlich. Dass man Anfragen an den Heiligen Stuhl stellt in Zweifelsfällen der Lehre und der kirchlichen Praxis, ist durchaus üblich. Das gibt es seit Jahrhunderten und immer wieder. In der Regel werden solche Anfragen aber nicht publik gemacht, sondern es kommt irgendwann eine Antwort des Heiligen Stuhls. Und diese Antwort beschränkt sich dann in der Regel auf ein Ja oder Nein. Nur selten gibt es eine Erläuterung dazu. Deshalb ist das hier eine Ausnahmefall, dass sich vier Kardinäle öffentlich an den Papst beziehungsweise den Präfekten der Glaubenskongregation wenden.
domradio.de: In dem Brief zeigen sich die Kardinäle besorgt. Aber lesen wir zwischen den Zeilen: Was wollen die Kardinäle politisch sagen?
Jansen: Sie wollen den Papst zu einer eindeutigen Antwort veranlassen. Ein Ja oder ein Nein in der Frage, ob wiederverheiratete Geschiedene zur Kommunion zugelassen werden dürfen. Sie wollen wissen, ob es Ausnahmefälle geben kann oder nicht. Dass es keine Ausnahmefälle gibt, hat Johannes Paul II. festgelegt - solange man nicht in der zweiten Beziehung enthaltsam lebt.
domradio.de: Einige Stellen in dem Papstschreiben "Amoris laetitia" sind tatsächlich recht vage formuliert. Kann man sagen, dass die Kritik berechtigt ist?
Jansen: Man muss es so sehen: Papst Franziskus wollte nach eigener Aussage ganz bewusst keine allgemeine Regelung treffen. Das schreibt er in "Amoris laetitia" und das hat er auch mehrfach gesagt. Er will sich was den Kommunionempfang für wiederverheiratet Geschiedene angeht, bewusst nicht auf ein generelles Ja oder Nein festlegen lassen. Er will eine Einzelfallprüfung.
domradio.de: Glauben Sie, dass es irgendwann noch eine Antwort des Papstes auf den mittlerweile öffentlichen Brief der Kardinäle gibt?
Jansen: Die Kardinäle schreiben, der Papst habe entschieden, nicht zu antworten. Die Frage ist, ob er ihnen das mitgeteilt hat oder ob sie einfach bislang keine Antwort erhalten haben und daraus schließen, dass er nicht antworten will. Kardinal Burke hat sich heute noch zu Wort gemeldet und da klingt es so, als habe der Papst bislang nicht reagiert. Am 10. November gab es allerdings eine Audienz von Kardinal Burke bei Franziskus. Möglicherweise hat der Papst ihm dort mitgeteilt, dass er nicht antworten wird.
Das Interview führte Milena Furman.