Der Brief ist fast zwei Monate alt. Doch zunächst ging er nur an Papst Franziskus und die Glaubenskongregation. Doch weil keine Antwort kam, haben ihn die Unterzeichner jetzt öffentlich gemacht - und damit neue Debatten über ein Dauerbrennerthema angestoßen.
Denn mehrere prominente Kardinäle fordern darin mehr Klarheit über den kirchlichen Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen. Nach dem päpstlichen Schreiben "Amoris laetitia" zu Ehe und Familie gebe es "eine ernste Verunsicherung vieler Gläubiger und eine große Verwirrung", heißt es in dem Brief, den mehrere Online-Medien am Montag im Wortlaut veröffentlichten.
Kardinäle aus dem konservativen Lager wünschen sich eine Antwort
Auch unter Theologen und Bischöfen gebe es einander widersprechende Interpretationen, insbesondere über die Frage der Zulassung zur Kommunion. Die Unterzeichner appellieren daher an den Papst, "die Ungewissheiten zu beseitigen und Klarheit zu schaffen".
Als Verfasser genannt werden auch zwei deutsche Kardinäle: der frühere Kölner Erzbischof, Joachim Kardinal Meisner, und der emeritierte deutsche Kurienkardinal Walter Brandmüller. Außerdem stehen die Namen des früheren Erzbischofs von Bologna, Kardinal Carlo Caffarra, und des US-Kardinals Raymond Leo Burke, des geistlichen Leiters des Malteserordens, unter dem Schreiben. Alle vier werden dem konservativen Flügel des Kardinalskollegiums zugerechnet.
Unterzeichner keine "Gegner" des Papstes
Die nachträgliche Veröffentlichung des Mitte September versandten Briefs begründen sie damit, dass Franziskus entschieden habe, nicht zu antworten. Dies habe man als "Einladung" aufgefasst, "das Nachdenken und die Diskussion fortzusetzen".
Die Unterzeichner betonen, sie seien keine "Gegner des Heiligen Vaters". Ihre Anfrage entspringe "der tiefen kollegialen Verbundenheit mit dem Papst und aus der leidenschaftlichen Sorge für das Wohl der Gläubigen". Mit ihrer Bitte, Mehrdeutigkeiten zu zerstreuen, wollten sie "Spaltungen" und Konfrontationen vorbeugen.
Ja-Nein-Fragen formuliert
Die Autoren legen dem Papst fünf Fragen mit Bitte um Klärung vor. Dabei geht es konkret um den Kommunionempfang für wiederverheiratete Geschiedene und um weitere grundsätzliche Themen. Unter anderem fragen die Kardinäle nach dem Verständnis von Sünde und danach, ob äußere Umstände einer Handlung einen in sich "sittenlosen Akt" zu einer vertretbaren Handlung machen können.
Die Fragen sind nach einer alten Kirchenpraxis als "dubia" (lateinisch für "Zweifel") formuliert, die eine Antwort mit "Ja" oder "Nein" ermöglichen. Regelmäßig wenden sich auf diese Weise etwa Bischöfe an den Vatikan, um eine aus ihrer Sicht unklare Rechtslage klären zu lassen. Denn laut Kirchenrecht ist ein Gesetz, dessen Existenz oder Verbindlichkeit zweifelhaft ist, nicht verpflichtend. Gleiches gilt bei Zweifeln, ob ein bestimmter Sachverhalt vom Gesetz überhaupt erfasst wird.
Dürfen Wiederverheiratete die Kommunion empfangen?
In der Öffentlichkeit besonders beachtet wird die Frage, ob wiederverheiratete Geschiedene unter bestimmten Umständen wieder zum Empfang der Kommunion zugelassen werden können. Bisher war dies nur möglich, wenn sie in ihrer neuen zivilen Ehe enthaltsam lebten. Ob der Papst diese Regelung mit "Amoris laetitia" gelockert hat oder nicht, wird seit Monaten heftig diskutiert.
Franziskus selbst hat bisher nicht mit einfachem Ja oder Nein geantwortet auf die Frage, ob sein Schreiben konkrete Neuerungen in Sachen Sakramentenempfang bringe: "Ich könnte sagen 'ja' und Punkt. Aber das wäre eine zu kleine Antwort."
Vom Präfekt der Glaubenskongregation bislang keine eindeutige Position
An anderer Stelle hat er allerdings indirekt den Sakramentenempfang für wiederverheiratete Geschiedene in Einzelfällen verteidigt, zugleich aber eine zu liberale Praxis abgelehnt. Zu einer entsprechenden Orientierungshilfe argentinischer Bischöfe schrieb er, es gebe "keine anderen Interpretationen". Die Bischöfe hatten darin betont, sie sähen durch "Amoris laetitia" die Möglichkeit der Kommunion für Katholiken in einer kirchenrechtlich problematischen Situation eröffnet.
Der im Brief der Kardinäle ebenfalls angesprochene Präfekt der Glaubenskongregation, Kardinal Gerhard Ludwig Müller, hat zu diesen Fragen seit dem Erscheinen des Papstschreibens keine eindeutige Position bezogen.