"Wir riskieren uns an ein Schwarz-Weiß-Denken zu gewöhnen, wir sind dem Unterscheiden gegenüber ziemlich verschlossen", so der Papst. Er forderte eine stärkere Berücksichtigung des Einzelfalls. In der Priesterausbildung spiele das Unterscheiden zwischen verschiedenen Situationen oft keine große Rolle.
In seiner eigenen Priesterausbildung habe er erlebt, dass im Kurs über das Beichtehören nur darüber gesprochen werde, was erlaubt sei und was nicht, berichtete Franziskus. In seinem im April publizierten Lehrschreiben zu Ehe und Familie, "Amoris laetitia", ist die Einzelfallentscheidung ein zentrales Element.
Vordenker auf "neuen Wege"
Als Vordenker einer stärker den Einzelfall berücksichtigenden Moraltheologie würdigte der Papst in dem Gespräch den Deutschen Bernhard Häring (1912-1998). Dieser sei seines Wissens nach der erste Moraltheologe gewesen, der "einen neuen Weg gesucht hat, um die Moraltheologie neu aufblühen zu lassen". In den 1990er Jahren leitete die vatikanische Glaubenskongregation laut Radio Vatikan ein Lehrbeanstandungsverfahren gegen Häring ein.
Der zuständige Präfekt der Glaubenskongregation war damals Kardinal Joseph Ratzinger. Der aus dem baden-württembergischen Böttingen stammende Häring gehörte dem Redemptoristenorden an und lehrte von 1951 bis 1987 an der römischen Hochschule seines Ordens Moraltheologie. Das Gespräch mit Teilnehmern der Generalkongregation der Jesuiten, dem obersten Leitungsgremium des Ordens, fand bereits Ende Oktober in Rom statt. Publiziert wurde es am Donnerstag von der italienischen Jesuiten-Zeitschrift "Civilta Cattolica".
Weiter bekräftigte der Papst darin, dass "Amoris laetitia" in der kirchlichen Tradition stehe. Auch Thomas von Aquin und der Katechismus der Katholischen Kirche wendeten den Grundsatz an, dass jeder allgemeine Grundsatz "Nuancen" gewinne, je mehr man ins Detail gehe, erklärte er.