EU-Sondergesandter Jan Figel über Christenverfolgung

"Wir sollten das Genozid-Jahrhundert beenden"

Es war ein Zeichen der EU: Mit Jan Figel wurde ein Sondergesandter für Religionsfreiheit außerhalb der Union etabliert. Im Interview erklärt er, warum der Völkermord an Christen im Nahen Osten offiziell anerkannt werden sollte.

Kirche in Erbil / © Katharina Ebel (KNA)
Kirche in Erbil / © Katharina Ebel ( KNA )

KNA: Was ist ihre Motivation für den Job als EU-Sondergesandter für Religionsfreiheit außerhalb der Union?

Figel (EU-Sondergesandter für Religionsfreiheit, ehemaliger slowakischer Ministerpräsident und ehemaliger EU-Kommissar): Die Bilder und Video von Christen, Jesiden und schiitischen Muslimen, die vom IS gefoltert werden, haben mich sprachlos gemacht.

Diese Ereignisse dürfen uns nicht unberührt und desinteressiert zurücklassen. Der rumänisch-amerikanische Schriftsteller und Holocaustüberlebende Elie Wiesel hat einmal gesagt, Gleichgültigkeit ist die Schwester des Bösen. Ich sage, Gleichgültigkeit, Ignoranz und Angst sind Verbündete des Bösen. Wenn Angst oder Gleichgültigkeit sich gegen unsere Freiheit durchsetzt, ist unsere Zukunft bedroht.

Außerdem führt Ignoranz zu Intoleranz. Die Menschen müssen erkennen, dass Angst mehr konstruiert als begründet ist.

KNA: Ihr Mandat ist zunächst auf ein Jahr begrenzt mit der Möglichkeit der Verlängerung. Auf welche Themen werden Sie sich konzentrieren?

Figel: Meine erste Priorität ist der Nahe Osten. Mein Mandat ist aus einer Resolution des EU-Parlaments entstanden, bei der es um die Massenmorde im Nahen Osten ging. Aus diesem Grund ist diese Region auch mein Fokus. Ich habe bereits Jordanien besucht und plane noch einen Besuch im Irak. Außerdem will ich mich gerne auch um asiatische und afrikanische Länder kümmern, in denen die Religionsfreiheit nicht gewährleistet ist, etwa im Iran, wo es ein Anti-Konversionsgesetz gibt, oder in Pakistan, wo die Christin Asia Bibi, eine Mutter von fünf Kindern, wegen Gotteslästerung verurteilt wurde.

KNA: Einige sprechen von einem Genozid an Christen durch den IS im Nahen Osten. Was denken Sie darüber?

Figel: Der IS hat Christen, Jesiden und andere in einer noch nie dagewesenen Form verfolgt. Das ist ein Genozid, der auch von anderen Institutionen anerkannt werden muss. Ich denke, dass es sehr wichtig ist, diese Ereignisse auch als Genozid zu bezeichnen. Denn daraus leitet sich in internationalem Recht auch die Verpflichtung ab, zu handeln. Den Stimm- und Schutzlosen muss eine Stimme gegeben werden.

Wir sollten das "Genozid-Jahrhundert" beenden. Ich erinnere daran, dass der Bundestag im Juni in einer Resolution den Massenmord an Armeniern 1915-16 als Völkermord bezeichnet hat.

KNA: Was wollen Sie konkret machen, um das Jahrhundert des Völkermords zu beenden, Herr Figel?

Figel: Menschen, die bedroht sind, oder bereits inhaftiert, wollen wir unterstützen, etwa durch Besuche oder mit rechtlichen Hinweisen.

Wir wollen auf ihr Schicksal aufmerksam machen und uns solidarisch mit ihnen zeigen. Manchmal hilft eine Beschwerde oder konkrete Solidarität, um den anderen zu retten. Während des Kommunismus in der Slowakei, den ich selbst erlebt habe, hat uns die Solidarität anderer Länder sehr geholfen.

KNA: Sie sind aus der Slowakei, dem Land, das derzeit die EU-Ratspräsidentschaft innehat und sich gegen die Aufnahme von muslimischen Flüchtlingen wehrt. Wie ist die Position der Slowakei aus christlicher Sicht zu erklären?

Figel: Wir brauchen Solidarität, um die verschiedenen Teile unserer Union zusammenzuhalten. In der Tschetschenien- und Kaukasuskrise hat die Slowakei mehr als 10.000 Flüchtlinge aufgenommen. Heute hat sie nur 100 Assyrer aus der irakischen Stadt Erbil aufgenommen.

In einer gewissen Weise wurden die Slowakei und ein paar andere Länder bei der Frage der Flüchtlingsverteilung außen vor gelassen. Die Idee einer verbindlichen Flüchtlingsquote der EU-Kommission war kein guter Anfang und hat zu vielen Falschinterpretationen geführt. Außerdem ist die Quote nicht umsetzbar, denn die Flüchtlinge wollten nicht in irgendein europäisches Land, sondern hatten ein Ziel. Obwohl die slowakische Regierung den EU-Ansatz abgelehnt hat, hat sie keine bessere, konkrete Alternative vorgeschlagen.

Trotz allem sollten sich Bischöfe - egal ob in Deutschland, der Slowakei oder dem Nahen Osten - bewusst sein, dass Jesus Christus als Junge selbst ein Flüchtling war. Migration gehört zur Menschheitsgeschichte.

Das Interview führte Franziska Broich.


Jan Figel / © Olivier Hoslet (dpa)
Jan Figel / © Olivier Hoslet ( dpa )
Quelle:
KNA