domradio.de: Sind Sie seit dem Mord an der Studentin Maria besorgt um Ihre eigene und die Sicherheit Ihrer 14-jährigen Tochter?
Gabriele Hartlieb (Pfarrerin in der Gemeinde West in Freiburg): Nach dem Mord war das tatsächlich so. Das Gefühl, aufpassen zu sollen, und die Sorge: Kommt meine Tochter in der Dunkelheit auch gut wieder nach Hause nach dem Handballtraining. Dieser Gedanke war sehr viel stärker da als vorher. Ich habe an meinem Verhalten aber nichts geändert. Die Eltern der Mitschülerinnen sehr wohl. Die haben ihren Töchtern gesagt, sie dürften jetzt nachts nicht mehr alleine nach Hause fahren.
domradio.de: Sie geben Religionsunterricht in der Schule, was diskutieren die Schülerinnen und Schüler da?
Hartlieb: Die jüngeren Schülerinnen und Schüler sind glücklicherweise nicht sehr betroffen. Bisher. In der sechsten Klasse war es ihnen bekannt, aber sie waren nicht sehr persönlich betroffen – worüber ich froh bin.
Betroffenheit habe ich eher bei meinen alten Gemeindemitgliedern festgestellt. In dem Besuchskreis der 80-Jährigen war ganz große Erschütterung über den Mord an Maria und über den zweiten Mord, den wir hier in der Nähe am Kaiserstuhl hatten. Da ist eine Joggerin ermordet worden. Ich habe viel Angst und Abwehr dieser Gewalttaten gespürt. Die Menschen waren sehr betroffen. Was ist mit den Seelen dieser armen jungen Frauen?
domradio.de: Die junge Frau hat sich ja selbst aktiv für die Willkommenskultur eingesetzt. Jetzt ist sie einem schrecklichen Verbrechen zum Opfer gefallen, das ein Geflüchteter begangen haben soll. Das ist Wasser auf die Mühlen aller Abschottungsvertreter. Wie mit diesem Zusammenhang umgehen? Gar nicht erwähnen?
Hartlieb: Es ist tatsächlich nicht leicht. Dass jetzt ein minderjähriger unbegleiteter Flüchtling, von denen wir hier in Freiburg viele haben, der mutmaßliche Täter ist, das ist wirklich einfach Gift. Das ist ganz gefährliches Gift. Ich erlebe zum Glück, dass die Menschen sehr besonnen und differenziert damit umgehen. Ich habe mir überlegt, wie ich das im Gottesdienst am kommenden Sonntag mache.
Das wird ein Gottesdienst über die Gottesmutter Maria sein - über Maria, die junge Frau die sich für die unmöglichen Pläne Gottes öffnet und sich ihm auf diese Weise tatsächlich zur Verfügung stellt - ihm und seiner Idee, zur Welt zu kommen und so auch Gott zur Welt bringt. Damit wird Marias Leben ja wirklich völlig in Beschlag genommen, auch durchkreuzt - und am Ende erlebt Maria, die Mutter Gottes, ja auch ganz großen Schmerz.
Ich hab mir überlegt, in welcher Weise ich das Geschehen um die Studentin Maria zur Sprache bringen soll - und denke, dass ich gar nicht weiter darauf eingehe. Aber dass ich auch Maria, die jetzt Getötete - wie schon Maria die Mutter Gottes - als Vorbild des Glaubens und eines sich Öffnens ins Leben verstehe, das auch nicht ungefährlich sein kann. Das Wunderbare für möglich zu halten, birgt immer auch ein gewisses Risiko in sich. Trotzdem wäre es falsch, sich nur abzuschotten.
domradio.de: Freiburgs Bürgermeister Salomon sagt, der kulturelle Hintergrund des Täters habe nichts mit der Tat zu tun, Flüchtlinge seien nicht krimineller als Deutsche. Wie halten Sie das selbst - zum Beispiel auch in Ihrer Predigt am Sonntag im Gottesdienst?
Hartlieb: Das ist statistisch ja auf jeden Fall richtig - das Problem ist die Angst. Und die Angst der Menschen ist ja nicht rational. Die nagt auch. Ich erlebe das auch in den höheren Schulklassen - die Schüler sagen: "Wenn so viele mit Kopftüchern da sind, wenn so viele Dunkelhäutige da sind….“ Das Fremde, das Andere macht Angst. Und die Frage ist, auch das habe ich meine Schülerinnen und Schüler gefragt: Wie gehen wir denn mit dieser Angst um? Argumente helfen wenig gegen die Angst. Weil Argumente an den Kopf gehen und die Angst ja aus dem Herzen kommt. Ich glaube, es ist wichtig, auf diese Angst zu gucken und trotzdem klar zu sagen: Nur weil jemand Angst hat, muss er nicht Recht haben mit seiner Überzeugung. Er kann völlig falsch liegen.
Und natürlich wird jetzt auch der Mord, vor allem die mutmaßliche Täterschaft, missbraucht von der AfD, die hier in Freiburg auch zu Gange ist. Dagegen muss man mit Argumenten vorgehen aber auch, indem man die Angst ernst nimmt, die die Menschen haben. Man muß zuhören und dann versuchen, das Herz zu erreichen und zu sagen: „Seid ihr schon mal einem minderjährigen Flüchtling begegnet, seid ihr mal ins Gespräch gekommen, wie war das, wie war dieser Mensch, habt Ihr eigene Erfahrungen?
domradio.de: Kann man potenzielle AfD-Wähler mit Gebetskreisen erreichen?
Hartlieb: Ich weiß natürlich nicht, welche Partei meine Gemeindeglieder wählen, wenn sie das nicht im Gespräch erzählen. Und in der Regel wissen AfD-Wählerinnen und -Wähler ja, welche Position die Kirche oder die Pfarrerin vertritt. Da sind wir hier in Freiburg sehr klar auf der Seite zu sagen: Wir öffnen unsere Arme, unser Herz, unsere Häuser für die geflüchteten Menschen und nehmen sie auf.
Allerdings halte ich es auch für richtig, diese Position nicht zu offensiv und vor allem nicht abgrenzend zu vertreten. Also in der Predigt und in Fürbitten jedenfalls nicht die anderen, die das nicht tun, zu verprellen. Ich möchte ihnen den Weg noch offen halten, ins Gespräch zu kommen. Auch da sein zu können und womöglich ihre Angst äußern zu können. Damit wir miteinander ins Gespräch kommen und damit sie nicht das Gefühl haben, sie könnten in der Kirche eh nicht landen mit ihrer Position und ihrer Angst. Ich halte es für ganz wichtig, dass wir in Verbindung bleiben. Und dann streiten, reden, zuhören, argumentieren, gucken, ob wir gemeinsam Erfahrungen machen können. In unserer Gemeinde ist eine geflüchtete Familie. Mit denen kann man ins Gespräch kommen - sie sind jeden Sonntag da.
Das Interview führte Hilde Regeniter.