domradio.de: Es ist ein aktuelles Thema: Der Film "Safari" des Regisseurs Ulrich Seidl zeigt unter anderem, wie Giraffen von Afrika-Touristen bei der Jagd dahingemetzelt werden. Und das, wo Experten der Weltnaturschutzunion IUCN die Giraffen auf ihrer roten Liste einstufen. Was genau bedeutet die Klassifizierung "vom Aussterben bedroht"?
Dr. Rainer Hagencord (Institut für Theologische Zoologie in Münster): Das bedeutet, etwas salopp gesagt, dass wir vermutlich diese Tiere in den nächsten zehn Jahren verlieren werden. Mit der Giraffe würde auch ein Tier verloren gehen, das in Afrika zu denen zählt, ohne die man sich Afrika gar nicht vorstellen kann.
domradio.de: Eigentlich denkt man aber nicht direkt an die Giraffe...
Hagencord: Ich kann mich noch an meine Kindheit und den Film "Serengeti darf nicht sterben" erinnern. Man denkt dabei an Giraffen, Elefanten oder Löwen, die zu den "großen fünf Tierarten" gehören, die man gesehen haben muss. Für alle großen Tiere gilt, dass sie auf dieser Liste eingestuft werden müssen. Bekannter ist sicher für viele, dass der Elefant wegen des Elfenbeins dazugehört. Noch dramatischer sieht es bei den Nashörnern wegen des Hornes aus. Das ist auch ein Problem der Globalisierung, weil Elfenbein gehandelt wird. Dass die Giraffe jetzt auch auf dieser Liste erscheint, schockiert mich persönlich doch sehr.
domradio.de: Haben Sie den Film "Safari" gesehen?
Hagencord: Den Film habe ich nicht gesehen. Aber ich weiß aus Rezensionen, dass hier tatsächlich der Abschuss einer dieser unfassbar wunderbaren Tiere im Zentrum steht. Jäger quittieren diese Szene mit der Aussage, dass ihnen das auch noch Spaß macht. Der Rezensent schreibt, dass es unglaublich schrecklich aussieht, wie dieses großartige Tier, das ja fast schwebt, wenn es läuft, nach einem Schuss in sich zusammensackt und der Hals verrenkt auf dem Boden liegt. Im Text sagt der Schreiber, wer noch Argumente für Menschenhass sucht, der hat hier genug gefunden.
domradio.de: Wird man als Zoologe zum Menschenhasser?
Hagencord: Mir geht das sehr unter die Haut. Ob man Menschenhasser werden muss, ist vielleicht nicht die Frage. Sondern eher die Frage, was hinter diesem Verlust steckt. Man nennt es eine "ökologische Katastrophe", dass mehr und mehr Arten verschwinden. Da kann man schon davon sprechen, dass daran der unverantwortliche Lebensstil in den Industrienationen schuld ist. Der Punkt ist der Verlust des Lebensraumes, die größere Armut der Menschen und die Tatsache, dass immer mehr Tiere gegessen werden müssen.
Papst Franziskus hat in seiner Enzyklika "Laudato si" ja deutlich gesagt, dass die ökologische und die soziale Frage eng zusammenhängen. Gerade in Afrika wird es deutlich, dass diese prachtvollen Tiere dann wahrscheinlich verloren gehen.
domradio.de: Schauen wir doch einmal aus theologischer Sicht darauf: Was heißt das, wenn sich der Mensch die Schöpfung auf eine Art und Weise untertan macht, dass diese Schöpfung daran zugrunde geht?
Hagencord: Der Papst hat in seiner Enzyklika eine ganz starke Formulierung gewählt. Der despotische Anthropozentrismus, also die Einschätzung, die Welt sei für uns da und wir herrschen über all das, sei biblisch überhaupt nicht zu verantworten. Von der Bibel und der jüdisch-christlichen Tradition her ist der Mensch nur Sachverwalter über all das, was auf der Erde lebt. Der Papst setzt sich mit der ökologischen Katastrophe auseinander.
domradio.de: Was heißt das genau?
Hagencord: Für mich gibt es in der Enzyklika eine Schlüsselstelle, in der er fast wörtlich sagt, jede Tierart, die wir ausrotten, nimmt Gott eine Möglichkeit mit uns zu sprechen. Wir haben nicht das Recht dazu. Das geht mir unter die Haut, wenn ich das lese. Der Papst folgt hier einer Theologie, die sagt, Gott zeigt sich in allem Lebendigen. Gott ist kein Mechaniker, der irgendwie die Giraffen oder Elefanten gebaut hat, sondern in der unfassbaren Schöpfung, in der Vielfalt des Lebendigen drückt sich Gott als Liebhaber des Lebens aus. Dass Gott zu uns durch die Schöpfung spricht, gehört in die theologische Tradition. Papst Franziskus spitzt das zu und sagt, dass jedes Geschöpf eine Note in der Symphonie ist, die Gott komponiert hat.
domradio.de: Wo fällt Ihnen das im Alltag auf?
Hagencord: Wenn ich hier im Münsterland durch die Wiesen gehe, dann vermisse ich den Kiebitz, die Lerchen oder die Goldammer. Wahrscheinlich werden wir bald auch den Sperling vermissen. Von den Insekten, die inzwischen verschwunden sind, ist ganz zu schweigen.
Von den Giraffen komme ich also sehr schnell zu unserer heimischen Flora und Fauna und stehe vor der gleichen Situation, dass immer mehr Arten verschwinden. Es verschwinden die nicht ganz so spektakulären Arten wie Käfer, Schmetterlinge, Bienen oder Hummeln - und auch die Vögel. Da finde ich, sind wir als Christen gefordert, wenn wir eine solche Theologie verinnerlicht haben, die die Schöpfung als Ort der Gotteserfahrung würdigt, alles zu tun, dass wir auch hier nicht die Tiere verlieren. Wir können uns über Afrika empören, aber was ist mit dem Kiebitz und der Feldlerche?
Das Interview führte Verena Tröster.