domradio.de: Wie haben Sie denn die Silvesternacht in Köln erlebt?
Gerd Bachner (Kölner Dompropst): Es war windig und kalt – aber trotzdem waren viele Menschen in Köln unterwegs. Das hat mich gefreut. Es war ein anderes Silvester als das, was wir es im Jahr zuvor erleben mussten. Bei dem, was damals passiert ist, war das Wort "feiern" nicht angebracht. Ich war dieses Mal den ganzen Abend immer mal wieder vor dem Dom und habe dort doch etwas anderes erlebt als noch im Vorjahr. Köln kann auch anders! Wir sind auf dem richtigen Weg. Das wäre für mich eine Überschrift nach dieser der Silvesternacht. Manches ist dabei natürlich gewöhnungsbedürftig gewesen: die vielen Ordnungskräfte, die massive Polizeipräsenz. Daran muss man sich gewöhnen. Aber es war nicht so, dass ein angstbesetztes Gefühl überwog. Die Menschen haben sich gefreut, kamen zusammen und haben tief Luft geholt, dass es auch so geht.
domradio.de: Welche wichtigen Unterschiede im Vergleich zum Vorjahr konnten Sie denn beim Sicherheitskonzept ausmachen?
Bachner: Die Quantität hat sich enorm erhöht. Wenn man das Zehnfache an Personal hat, vom Ordnungsamt und dem Polizeiaufgebot, dann hat man einfach eine andere Präsenz. Ich habe Zivilkräfte und Beamte in ihren gelben Jacken bei Personalkontrollen erlebt – letztere waren also als Polizei oder Ordnungskräfte sichtbar. Auf der einen Seite wusste man, dass Leute verdeckt zuschauen und andererseits aber auch genügend sichtbar ansprechbares Personal da war. Ich habe mit ihnen gesprochen, wie sie die Lage sehen und beurteilen. Das war eine Kommunikation. Diese Ordnungskräfte fungierten nicht unbedingt als Aufpasser, sondern als Menschen, die dazu da waren, an unserer Seite zu sein. Das war für mich dann auch der qualitative Unterschied.
domradio.de: Im Vorfeld der Silvesterfeiern hörte man immer vom Zusammenspiel von Polizei, Stadt und Erzbistum Köln, wenn es um die Sicherheitsvorkehrungen rund um den Dom ging. Was genau war da Ihre Aufgabe?
Bachner: Als Hausherr des Domes schaue ich in erster Linie, was juristisch betrachtet im Dom selbst geschieht. Aber was um den Dom herum geschieht, kann einem Domkapitel nicht gleichgültig sein. Insofern gab es zum Ordnungsamt, zur Polizei, zur Stadt und der Oberbürgermeisterin einen engen Kontakt in allen Fragen, so auch in dieser Sicherheitsfrage. Wir wurden tatsächlich einbezogen und konnten mit überlegen und unsere Erfahrungen mit einbringen. Wir konnten durchaus anmerken, was aus unserer Sicht wichtig erschien. Zugleich geschah aber auch ein Austausch mit der Polizei. Dieses Miteinander hat sich aus meiner Sicht ausgezahlt.
domradio.de: Neben dem höheren Polizeiaufkommen, gab es auch ein Feuerwerksverbot rund um den Dom. Fanden Sie das richtig?
Bachner: Das fand ich sogar sehr richtig, weil damit ja auch sonst Verletzungen möglich sind, wie man im vergangenen Jahr gesehen hat. Da wurden von der Bahnhofstreppe auf den Bahnhofsvorplatz solche Feuerwerkskörper gezündet. Das ist nicht ungefährlich. Als ich gestern Nacht zu meiner Wohnung in unmittelbarer Nähe zur Domumgebung ging, zündelten zahlreiche Feuerwerkskörper von der Straße hoch. Man weiß, was damit passieren kann, wenn dies nicht richtig gehandhabt wird. Es war aber gestern eine friedliche Atmosphäre, sowohl am Westportal als auch am Bahnhofsvorplatz oder am Roncalliplatz. Die Menschen haben vielleicht nicht so ausgelassen gefeiert, wie man das sonst gewohnt war. Vielleicht war auch ein bisschen Nachdenklichkeit dabei - nicht im Sinne des Ernsten, sondern im Sinne des "Nicht-Angst-Haben-Müssens". Die Menschen konnten sich in guter Weise wieder am ersten Platz unserer Stadt treffen und in Ruhe feiern.
domradio.de: In der Nacht wurde der Dom zum Zentrum der Multimedia-Projektion unter dem Motto "Time Drifts Cologne". Wie sah das denn aus?
Bachner: Es war neu. Wir hatten ja schon im August vergangenen Jahres mit "SilentMOD" eine Installation. Das gestern war allerdings völlig anders. Der Dom war in der üblichen Weise angestrahlt, aber die angrenzenden Gebäude wie das Domforum, das Römisch-Germanische Museum oder das Domhotel wurden mit Lichtkunst erleuchtet. Man erkannte diese Gebäude fast gar nicht wieder – durch die Farben, Kompositionen und Worte, die geschrieben wurden. Das waren Worte, die Menschen vorab eingeschickt hatten, Worte, die ihnen wichtig waren. Es waren für mich auch nicht nur Worte, sondern auch Werte. Werte, die den Menschen viel bedeuten. Das habe ich bei der Installation erlebt, bei den Worten, bei der Musik, die von Glocken her bestimmt war, aber auch mittels Kreide, mit der die Leute auf die Domplatte geschrieben oder gemalt haben. Manche haben die Worte mit einer bestimmten Farbe umrahmt, andere haben den Schweif der drei Sterne gemalt. Das war Kreativität. Die Menschen haben sich über die Worte und Werte zudem untereinander ausgetauscht. Etwas Besseres kann man sich als Priester gar nicht wünschen.
domradio.de: Glauben Sie, dass die Installation ein Ersatz für das Feuerwerk war?
Bachner: Das glaube ich nicht. Feuerwerk ist Feuerwerk. Diese Installation war etwas anderes. Sie hat ein Stück weit in die Innerlichkeit geführt, in Gespräche und den Dialog. Wenn Begriffe wie "Anstand", "Sicherheit", "Toleranz", "Solidarität", "Schutz", "Wandel", "Achtsamkeit" oder aber auch das Wort "Sorge" aufgeschrieben werden, dann fördert das den Austausch. Wo haben wir das denn schon, dass wir uns über diese Begriffe, diese Werte austauschen? Je mehr die Musik dann im Laufe des Abends die Dominanz übernahm, so mehr traten die Worte etwas in den Hintergrund. Ich habe die Installation aber nicht als einen Ersatz für ein Feuerwerk empfunden.
domradio.de: Ist das ein Modell des Silvesterfeierns für die Zukunft?
Bachner: Wenn es mit weniger Ordnungskräften und Polizeieinsatz vonstatten gehen könnte, dann wäre es noch besser. Viele der Einsatzkräfte haben auf eine eigene Familienfeier zu Silvester verzichtet. Das darf man nicht vergessen. Das sind zahlreiche Menschen, die für unsere Sicherheit diesen Einsatz mitgetragen haben. Wenn sich das im Laufe der nächsten Jahre reduzieren könnte, dann wäre das schön. So ist es nicht, wie es immer sein könnte und sollte, aber so ist es mit Sicherheit der richtige Weg. Durch Krisen werden wir gestärkt. Wir haben Konzerte auf dem Roncalliplatz gehabt, wir haben verschiedenste Feiern und Feste begangen. Aber eine solche Installation, bei der Menschen auch ins Gespräch kommen, nicht zuletzt auch durch die Impulse des Jahresabschlussgottesdienstes, hat Akzente gesetzt. Die Menschen haben im Dom das Wort Gottes gehört und sich damit auseinandergesetzt und das, was im Jahr 2016 nicht gut war, vor Gott hingelegt. Das alles waren verschiedene Punkte, die zusammenkamen. Wer sich all diesen Punkten geöffnet hatte, der ging gestärkt in der Nacht nach Hause.
domradio.de: Was wünschen Sie sich denn für 2017?
Bachner: Ich wünsche mir, dass die Würde des Menschen auf der Welt nicht so mit Füßen getreten wird - und dass es nicht nur eine schweigende Mehrheit gibt, sondern eine sprechende Mehrheit aus allen Religionen. Sie sollten aufstehen und den Terrorismus verurteilen. Wir sollten wieder in einer Freiheit leben können, in der die Würde des Menschen geachtet und geehrt wird.
Das Interview führte Milena Furman.