Sag mir, mit wem du betest, und ich sage dir, wer du bist. So könnte vielleicht die Faustformel lauten, die am Tag der Amtseinführung eines neuen US-Präsidenten Einblick in das spirituelle Leben des Anführers gibt. Seit Gründung der Vereinigten Staaten gehört es zum festen Brauch der künftigen Präsidenten, ihre bevorzugten Prediger nach Washington einzuladen.
Donald Trump hält an dieser Tradition fest. Obwohl er selbst als nicht besonders religiös gilt, haben ihn die Evangelikalen in Rekordzahl gewählt. Und auch bei weißen Katholiken versammelte er eine Mehrheit der Wähler hinter sich.
Dass er nicht nur mit einem geistlichen Beistand zum mittäglichen Schwur auf die Bibel kommt, sondern gleich ein halbes Dutzend mitbringt, kann in zwei Richtungen interpretiert werden. Als Verbeugung vor der Vielfalt der religiösen Traditionen in den USA oder als Ausdruck seiner persönlichen Indifferenz.
Kardinal Dolan fühlt sich geehrt
Der katholische Kardinal Timothy Dolan, der im Wahlkampf neutral blieb, Trump aber wegen dessen Haltung zur Einwanderung kritisiert hatte, fühlt sich in jedem Fall "geehrt, gebeten worden zu sein, bei der kommenden Amtseinführung aus der Heiligen Schrift zu lesen". Er freue sich darauf, so der Kardinal in einer Erklärung, "Gott den Allmächtigen zu bitten, unseren neuen Präsidenten zu inspirieren und zu führen".
Mit von der Partie auf den Stufen des Kapitols ist auch Franklin Graham, Sohn des legendären Volkspredigers Billy Graham, der mit seinen 98 Jahren selbst zu gebrechlich ist, um dabei sein zu können.
Der Inbegriff des "amerikanischen Pastors" stand so häufig wie kein anderer Kleriker Präsidenten bei der Amtseinführung zur Seite - ob Demokraten wie Lyndon B. Johnson und Bill Clinton oder Republikanern wie Richard Nixon und George Bush senior.
Während Billy Graham seine politischen Ansichten für sich behielt, gilt Sohn Franklin als enthusiastischer Unterstützer Trumps. Noch vor diesem hatte er selber die Idee eines Einreisestopps für Muslime in die USA ins Spiel gebracht. Nach Trumps Wahl äußerte er die Ansicht, er glaube, Gott habe bei den Wahlen im November die Gebete Hunderttausender Menschen beantwortet. "Ich glaube, Gott war es."
Franklin trägt das aus der eigenen Familie Kritik ein. Nichte und Pfarrersfrau Jerushah sieht darin "schlechte Theologie". Diesem Vorwurf sieht sich auch Paula White ausgesetzt, die im New Destiny Christian Center unweit von Orlando eine Art Wohlstands-Evangelium predigt: Wer gibt und Gutes tut, der werde von Gott auch materiell belohnt - so lautet ihre Kernbotschaft. Insbesondere dann, wenn die Gläubigen ihrer Megakirche spenden.
Christliche Vielfalt
Wie Trump ist sie zum dritten Mal verheiratet und genießt das aufwendige Leben. Der Senat hatte ihr Wirken 2007 zusammen mit anderen TV-Evangelisten genauer unter die Lupe genommen, aber nichts Strafbares gefunden.
In einer ihrer früheren Gemeinden häufte sie allein von 2004 bis 2006 ein Vermögen von 150 Millionen Dollar an. Trump findet, Paula sei "schön von innen und außen" und ehrt sie mit der Einladung zur Amtseinführung.
Der schwarze Geistliche Wayne Jackson predigt in den Great Faith Ministries International von Detroit seiner Gemeinde eine ähnliche Theologie wie White. Während des Wahlkampfs hatte er seine Kirche für Trump geöffnet. Nun wird er mit dem künftigen Präsidenten am Fuße des Kapitolhügels um Gottes Segen bitten.
Mit dabei ist auch der Präsident der evangelikalen National Hispanic Christian Leadership Conference, Samuel Rodriguez, der seine Haltung zu Trump deutlich verändert hat. Während Rodriguez die verbalen Attacken gegen Mexikaner noch entschieden verurteilt hatte, findet er nun, dass es "keine größere Ehre gibt, seinem Land zu dienen, als in so spezieller Weise bei so einer besonderen Gelegenheit".
Wie Rodriguez von den Latinos für seine Kehrtwende kritisiert wird, muss sich Rabbi Marvin Hier von den Juden in den USA hinterfragen lassen. Dass der Vorstand und Gründer des Simon-Wiesenthal-Zentrums Gebete bei der Amtseinführung Trumps spricht, stößt bei den überwiegend liberal eingestellten Gläubigen auf Kopfschütteln. Einen Geistlichen der muslimischen Minderheit in den USA hat Trump nicht eingeladen.