domradio.de: Welche Hilferufe erreichen Sie aktuell?
Bettina Tiburzy (missio): Wir haben ständigen Kontakt mit den Bistümern Maiduguri und Yola im Nordosten Nigerias. Erst letzte Woche hat uns der Bischof von Yola geschrieben, dass er nicht mehr weiß, wie er die vielen Leute, die an seine Tür klopfen und um Nahrung bitten, versorgen soll. Er bittet jetzt uns um Hilfe, weil wir schon mehrfach seit 2014, als die Krise besonders stark war und die Kämpfe stark waren, geholfen haben. Auch die spätere Rückkehr der Menschen auf ihre Farmen haben wir versucht, zu unterstützen. Viele sind dann zurückgegangen auf ihre Farmen, aber es gab immer wieder Kämpfe und Angriffe. Es ist einfach eine sehr schwierige Situation, auch für die kirchlichen Mitarbeiter.
domradio.de: Die versuchen ja zu helfen, aber fühlen sich offensichtlich allein gelassen und können das nicht alleine stemmen, oder?
Tiburzy: Der Bischof schrieb uns, dass er das große Problem hat, dass in den Regionen, in die Flüchtlinge zurückgekehrt sind, wenig Schutz vorhanden ist. Es gibt überhaupt keine internationale Organisation, die dort momentan hilft. Yola liegt nicht direkt im Einflussbereich von Boko Haram, es liegt ein bisschen weiter südlich und dorthin sind viele Menschen geflohen. Die kommen jetzt nicht mehr zurück, weil die Lage so unsicher ist. Der Bischof hofft dringend darauf, dass wir jetzt Hilfe leisten können.
domradio.de: Hat sich denn etwas geändert, seitdem Nigerias Regierung gegen Boko Haram vorgeht?
Tiburzy: Die Regierung hat militärisch, gemeinsam mit den Nachbarländern, jetzt einige Siege errungen und den Terroristen Gebiete abgenommen, die von ihnen besetzt waren. Aber natürlich ist das insgesamt ein riesiges Gebiet und es ist noch lange nicht so, dass Boko Haram besiegt ist. Die schlagen immer wieder zu und das macht die Situation für die Menschen dort schwierig. Zum einen sind sie vom Terror von Boko Haram bedroht und andererseits können sie ihre Äcker nicht bestellen und leiden großen Hunger. Dann gab es noch diesen verheerenden Anschlag, ein Fehler des Militärs: Bei Bombardierungen ist ein Flüchtlingslager getroffen worden. Das heißt, die Leute sind völlig verunsichert und mehrfach betroffen.
domradio.de: Ganz besonders betroffen sind Kinder, was wissen Sie da über den Stand der Dinge?
Tiburzy: Auch da hat uns der Bischof geschrieben, dass er sehr viele Kinder getroffen hat, die geweint haben und ihm sagten, dass sie drei Tage nichts gegessen haben. In Nigeria ist es oft so, dass Menschen von einer Mahlzeit pro Tag leben müssen. Wenn das noch nicht mal gewährleistet ist, sind die Kinder am schwersten betroffen. Auch die Gesundheitsversorgung ist nicht vorhanden. Kinder sterben an Krankheiten, die gut behandelbar wären, wenn es Hilfe dafür gäbe. Zu befürchten ist, dass die Kinder, also die Schwächsten, als erstes auf der Strecke bleiben, wenn diese Hungersnot nicht gravierend eingedämmt wird. Und da ist internationale Hilfe gefordert, weil die Regierung überfordert ist.
domradio.de: Exakt vor einem halben Jahr haben wir schon mal über das gleiche Thema gesprochen, die drohende Hungerkrise in Nigeria. Seitdem ist nicht viel passiert. Wie kann das sein?
Tiburzy: Ich kann mir das auch nicht erklären. Es ist einfach so, dass die Medien wenig über diese Krise berichten. Natürlich gibt es große Krisenherde auf der ganzen Welt, auf denen der Fokus liegt. Nigeria ist da weit weg und der Nordosten Nigerias ist wenig zugänglich, man kommt schwer dorthin. Boko Haram hat absichtlich die Straßen und Brücken teilweise gesprengt. Das heißt: Auch Korrespondenten und Journalisten kommen dort sehr schwer hin. Außerdem ist es gefährlich, weil Boko Haram unter Druck steht, deshalb wehren sie sich mit Attentaten. Die Weltgemeinschaft muss eingreifen, sonst ist zu befürchten, dass wir Szenen von sterbenden hungernden Kindern sehen.
domradio.de: Was schlagen Sie da vor?
Tiburzy: Ich wäre sehr dafür, dass auch internationale Organisationen sich dem zuwenden, das beginnt grade. Es ist sehr wichtig, dass Hilfslieferungen militärisch gesichert werden. Erst gestern wurde eine Lieferung von Boko Haram angegriffen und die Soldaten konnten sie nicht verteidigen. Das darf nicht passieren. Ich kann für missio sagen, dass wir wissen, dass die kirchlichen Partner vor Ort sehr gute Strukturen haben. Sie sind in fast jedem Dorf präsent, ein Netzwerk, über das auch Hilfslieferungen verteilt werden können. Außerdem muss Druck auf die Regierung in Nigeria ausgeübt werden, damit die Gelder auch wirklich bei den Leuten ankommen.