domradio.de: Wenn es darum geht, die zweite Abschiebungswelle afghanischer Flüchtlinge zu rechtfertigen, dann von einem "sicheren" Land gesprochen. Der UNHCR-Bericht für die Bundesregierung bewertet die Situation in Afghanistan aber anders: Von Januar bis Juni 2016 seien mehr als 1.600 Menschen durch Anschläge ums Leben gekommen. Und es sei unmöglich, bestimmte Regionen pauschal als sicher anzusehen. Experten sagen, von Sicherheit in Afghanistan könne keine Rede sein. Was sagen denn die afghanischen Flüchtlinge, die Sie betreuen?
Susanne Rabe-Rahmann: Die afghanischen Flüchtlinge sind derzeit sehr unter Stress. Sie haben Angst, in ihre Heimaten zurückgeschickt zu werden, die sie selbst als Kriegsgebiete, als Unterdrückungsorte und auch als Diskriminierungsorte erfahren haben. Es gab ja bereits mehrere Kriege in Afghanistan, aber die Übergriffe und die Gewalt haben nicht aufgehört. Viele Menschen, mit denen ich gesprochen habe, haben Bombenangriffe erlebt oder sind Opfer bewaffneter Auseinandersetzungen unterschiedlicher Gruppen geworden. Manche sind mit willkürlicher Gewalt bedroht worden, oder damit, dass sie oder Familienangehörige ermordet würden, falls sie nicht täten, was die Taliban von ihnen verlangten.
Menschen, mit denen ich gesprochen habe, waren schon innerhalb Afghanistans beständig auf der Flucht. Sie haben nicht mehr in ihren Heimatorten gelebt, sondern sind in andere Orte oder die Berge geflohen, wo sie ihre Familie auch nicht ausreichend schützen konnten. Ein kleiner Teil war auch weiter in den Iran geflohen, wurde aber auch dort wegen illegalem Aufenthalt inhaftiert oder als Minderheit drangsaliert.
Es gibt eine ganze Vielfalt von Schicksalen, das ist sicher auch noch mal individuell sehr unterschiedlich. Es gibt Leute, die aus politischen Gründen zur Zielscheibe geworden sind, aber es gibt zum Beispiel auch eine große Gruppe Frauen, die sich für Menschenrechte einsetzen wollen und ihre eigenen Rechte wahrnehmen wollen. Es sind auch ethnische oder religiöse Minderheiten, die immer wieder Übergriffen ausgesetzt waren oder sind, zum Beispiel Hazara, Hindus oder Sikhs. Viele haben nichts mehr im Herkunftsgebiet, auf das sie in irgendeiner Form bauen könnten.
domradio.de: Nehmen wir an, manche dieser Flüchtlinge werden zurückgeschickt. Was erwartet die Menschen bei ihrer Rückkehr?
Rabe-Rahmann: Sie stehen praktisch vor dem Nichts. Sie erwarten keinerlei Hilfestellung, weil die familiären Bezüge häufig durch die Flucht auseinandergebrochen sind. Sie wissen nicht, wo sie ankommen, sie wissen nicht, wohin sie gehen sollen und haben große Angst, dass sie erneut in irgendeiner Form Opfer von Gewalt werden.
domradio.de: Das ist sicher auch eine große Herausforderung für Sie in der Flüchtlingsberatung. Wie können Sie da helfen?
Rabe-Rahmann: Der Stress der Leute fördert natürlich die Unsicherheiten, die psychischen Belastungen. Frühere Erfahrungen von Hilflosigkeit, Abhängigkeit, Gewalt werden retraumatisiert. Sie reagieren im Moment teilweise sehr panisch und nervös, teilweise depressiv, bei manchen tauchen Suizidgedanken auf. Wir müssen dann sehen, was wir tun können. Wir versuchen im Moment sehr viel an Berührungsarbeit zu leisten.
Auf der anderen Seite ist der Fakt auch der, dass die Verfahren von Afghanen in den letzten Monaten teilweise sehr schnell entschieden werden. Es ist natürlich wünschenswert, schnelle Entscheidungen zu haben, aber wir sehen, dass das auf die Kosten der Qualität von Interviews und Entscheidungen geht. Wir sehen anhand der Protokolle und gleichzeitig anhand der Gespräche, die wir mit den Betroffenen führen, dass vieles, was sie individuell bewegt hat, gar nicht in diesen Protokollen in den Anhörungen zu finden ist. Teilweise bestanden Probleme mit den Dolmetschenden, oder wichtige Aspekte wurden gar nicht weiter hinterfragt.
In einem Fall, an den ich mich erinnere, ist zum Beispiel einem Afghanen, dessen Familienangehörige durch Taliban getötet wurden, gesagt worden, das sei nicht relevant. Es gehe hier nur darum, ob er selbst ein Problem hätte. Interkulturelle Aspekte werden zudem auch gar nicht berücksichtigt. Und es wird jetzt aktuell auch sehr schwer, anwaltliche Begleitung zu organisieren, weil die Anwälte, die sich im Asyl- und Ausländerrecht auskennen, hochgradig ausgelastet sind. Die sind also auch damit konfrontiert, weil auch die Fristen für Klagen gegen Bescheide kurz sind. Da müssen wir schauen, wie wir das im Moment regeln können – und das macht die Situation nicht einfacher.
Das Interview führte Silvia Ochlast.