Zwangsmaßnahmen in der Psychiatrie werfen erhebliche Fragen auf und sind massiv rechtfertigungspflichtig, sagte der Ethikrats-Vorsitzende Peter Dabrock am Donnerstag in Berlin bei der öffentlichen Anhörung. Manche Betroffenen seien später dankbar, andere kämpften ihr Leben lang mit der Erfahrung, so Dabrock weiter. Vor diesem Hintergrund wolle der Ethikrat eine Stellungnahme und Handlungsempfehlung erarbeiten.
Jährlich gibt es in Deutschland nach Expertenangaben mehr als 800.000 stationäre Psychiatrie-Patienten. Diese Zahl ist in den vergangenen zehn Jahren deutlich gestiegen. Von den rund 420 psychiatrischen Kliniken in Deutschland hätten 400 eine geschlossene Abteilung, rund 20 verzichteten auf eine solche. Die Spanne der Fälle angewandter Zwangsmaßnahmen variiert laut Experten stark von teils nur 1 Prozent bis hin zu rund 10 Prozent. Darunter fallen unter anderem eine unfreiwillige Behandlung der psychischen Erkrankung, medikamentöse Ruhigstellung oder Fixierung.
So wenig Zwang wie möglich
Der Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Berliner Charité, Andreas Heinz, begrüßte, dass das Konzept einer offenen Psychiatrie immer wichtiger werde. Abgeschlossene Türen führten oftmals erst dazu, dass Patienten aggressiv würden und dann Zwang angewandt werde. Auch große Stationen erschwerten die Betreuung. Grundsätzlich sollte so wenig Zwang wie möglich stattfinden. Heinz sprach sich zudem für mehr mobile Teams aus, die Betroffene zu Hause aufsuchten. Hierfür sowie für eine gute stationäre Betreuung sei mehr Personal nötig.
Der Heidenheimer Chefarzt für Psychiatrie, Martin Zinkler, berichtete, dass Zwangsmaßnahmen auch für Pfleger und Ärzte oft ein Problem seien. Viele schämten sich im Nachhinein dafür. Das erschwere die Nachsorge und verschlechtere den Lerneffekt für beide Seiten. "Jede Fixierung ist eine zu viel", sagte Zinkler. Und eine medikamentöse Zwangsbehandlung könne laut Studien die Behandlung erschweren. Es müsse ein stärkerer Fokus auf die sozialen Umstände des Patienten gelegt werden.
Richterliche Genehmigungen
Das Bundeskabinett hatte Ende Januar als Reaktion auf ein Bundesverfassungsgerichtsurteil einen Gesetzentwurf zur Änderung von ärztlichen Zwangsmaßnahmen beschlossen. Künftig sollen demnach eine Zwangsbehandlung und eine freiheitsentziehende Unterbringung je einzeln richterlich genehmigt werden. Voraussetzung für eine medizinische Zwangsmaßnahme soll ein vollstationärer Aufenthalt sein, damit auch eine ärztliche Nachbetreuung gewährleistet ist.
Ärztliche Zwangsmaßnahmen sollten auch nach der Neuregelung nur das letzte Mittel sein, "das in Situationen drohender erheblicher Selbstgefährdung des Betreuten in Betracht kommt", heißt es im Gesetzentwurf. Daher will die Regierung auch das Selbstbestimmungsrecht der Betreuten verbessern, indem Patientenverfügungen stärker ins Gewicht fallen.