Gesellschaft für Menschenrechte zu Merkels Staatsbesuch am Nil

"Man schafft sich seinen Terror selbst"

Christen in Ägypten können in einer "sehr guten Situation" ihren Glauben leben. Das hat Angela Merkel im Vorfeld ihrer Ägypten-Reise behauptet. Die Gesellschaft für Menschenrechte sieht das anders. Merkel müsse ein "richtiges Signal" setzen.

Angela Merkel in Ägypten / © Soeren Stache (dpa)
Angela Merkel in Ägypten / © Soeren Stache ( dpa )

domradio.de: Besonders hat Frau Merkel vor ihrer Reise die wichtige Rolle der Kopten in Ägypten betont - also der christlichen Minderheit. Gerade die Kopten aber erleben im Moment besonders schwere Zeiten. Was genau ist da los?

Martin Lessenthin (Sprecher des Vorstands der Internationale Gesellschaft für Menschenrechte): Die Kopten werden als Stellvertreter des Westens von denjenigen angegriffen, die im ägyptischen Staat etwas verändern wollen, und die eine Revanche gegen die USA und gegen Europa, gegen einen Teil der Kriegsparteien in Syrien wollen. Da sind dann die Kopten das richtige Opfer.

domradio.de: Warum Stellvertreter des Westens?

Lessenthin: Die Kopten gelten schon seit Jahrzehnten als Christen und Freunde des Westens - diejenigen, die es aus Ägypten zu vertreiben gilt. Deswegen haben sie sich über die Jahre leider auch an brennende Kirchen, abgefackelte Dörfer und geplünderte koptische Geschäfte gewöhnen müssen. Keine ägyptische Regierung hat es geschafft, das zu ändern. Was jetzt neu ist, ist die Härte der Verfolgung, der Morde auf offener Straße, die Drohvideos von solchen Tätern, die der Terrormiliz IS nahestehen und die ihren Schwerpunkt auf dem Sinai haben.

domradio.de: Ist die Regierung unter Ex-General al-Sisi also nicht in der Lage, die Christen zu schützen? Oder liegt das etwa gar nicht in ihrem Interesse?

Lessenthin: Bleiben wir beim Sinai. Hier stößt die staatliche Gewalt Ägyptens auf Hindernisse, die in anderen Landesteilen nicht vorhanden sind. Der Sinai ist nur sehr dünn besiedelt, und hat überproportional viele Beduinen, die keine ägyptische Autorität anerkennen wollen und das durch kleine Anschläge demonstrieren. Radikalere unter ihnen fanden bald Verbündete unter Palästinensern und islamistisch Oppositionellen. Wir haben also eine besonderer Situation auf dem Sinai und erleben in diesen Tagen, dass Kopten zu Hunderten, ja zu Tausenden den Sinai verlassen, weil sie ihres Lebens nicht mehr sicher sind.

domradio.de: Sie sehen die Regierung al-Sisis auch in der Verantwortung für die wachsende Radikalisierung in Ägypten - inwiefern?

Lessenthin: Die Verantwortung al-Sisis hat verschiedene Ebenen. Die eine Ebene ist, dass die Militärregierung Ägyptens einen Weg der brutalen Verfolgung von Opposition eingeschlagen hat. Und dazu zählt leider das unappetitliche Thema der Folter. In Ägypten wird quasi systematisch gefoltert. Menschen, die einfach nur Missstände kritisiert haben und nicht aus der islamistischen Ecke kommen, geraten mitunter durch Beeinflussung während der Haft und durch traumatisierte Foltererlebnisse auf die Seite der Islamisten. Das wäre überhaupt nicht nötig, man schafft sich hier seinen Terror selbst.

domradio.de: Der Besuch von Angela Merkel dürfte wieder einmal ein diplomatischer Drahtseilakt für die Kanzlerin werden - einerseits braucht sie Präsident al-Sisi als Verbündeten, andererseits hat sich unter seiner Regierung die Lager der Menschenrechte deutlich verschlechtert. Welchen Spielraum hat Frau Merkel da aus Ihrer Sicht?

Lessenthin: Sie kann sich deutlich auf die Seite der Menschenrechte stellen. Sie hat das in der Vergangenheit getan. Zum Beispiel in China, wo sie sich mit Oppositionellen und verfolgten Christen getroffen hat. Zum Beispiel auch in Russland, wo sie sich mit Bürgerrechtlern solidarisiert hat. Es ist eine Sache des Anstands und des richtigen Signals aus Deutschland. Es ist wichtig auch Herrn al-Sisi zu zeigen, dass man ihn nicht als gleichwertigen Partner unter Demokraten behandelt, und dass man an ihn Forderungen stellt.

domradio.de: Welche Forderungen zum Beispiel?

Lessenthin: Zum Beispiel das Ende der Gefangenschaft von Bürgerrechtlern, von Frauenrechtlerinnen, von Demokratieaktivisten, und vor allem ein sofortiges Ende der Folter in ägyptischen Gefängnissen.

Das Gespräch führte Heike Sicconi.


Quelle:
DR