domradio.de: Lassen Sie uns über den eigentlichen Konflikt sprechen. Es ist ein religiöser Konflikt, der noch älter ist als der Südsudan selbst.
Barbara Schirmel (Südsudan-Länderreferentin bei Misereor): Es ist nur bedingt ein religiöser Konflikt. Der Süden des damals großen Sudan war jahrzehntelang im Bürgerkrieg, um seine Unabhängigkeit zu erlangen. Da ging es nicht nur um die Erlaubnis, die eigene Religion - das Christentum - ausüben zu dürfen, sondern auch um kulturelle Verschiedenheiten. Der Süden ist eher schwarzafrikanisch, der Norden muslimisch-arabisch geprägt.
Über viele, viele Jahre wurden die Menschen im Süden vom Norden praktisch versklavt und überhaupt nicht an der Regierung oder Entscheidungen beteiligt. Aus dieser Situation heraus ist ein jahrelanger Bürgerkrieg entstanden, der mithilfe der internationalen Gemeinschaft in ein Referendum und dann 2011 in die Unabhängigkeit mündete, die mit fast 100 Prozent gewählt wurde.
domradio.de: Der Südsudan ist förderal-demokratisch strukturiert. Die Realität sieht ein bisschen anders aus. Die eigentliche Macht haben diejenigen, die Waffen tragen. Von Übergriffen gegen humanitäre Helfer hat man mehr und mehr abgesehen. Was steckt dahinter?
Schirmel: Zum einen hat es schon während des Unabhängigkeitskonflikts eine starke Blauhelm-Mission gegeben. Auch andere Hilfsorganisationen waren aktiv. Die Vereinten Nationen und die internationalen Regierungen, die seit der Unabhängigkeit zu helfen versuchen, nimmt man jedoch als Besatzungsmächte wahr. Man fühlt sich in der eigenen Souveränität angegriffen. Immer wieder werden Gesetze erlassen, die Hilfsleistungen eher erschweren.
Es sind viele Weiße im Land, die aufgrund der großen Armut schnell Opfer von Kriminellen werden. Zudem gibt es sehr viele ausländische Mitarbeiter aus Nachbarländern, über die gesagt wird, dass sie Arbeitsplätze wegnehmen.
domradio.de: Wenn der Südsudan so ein Krisenland ist, warum gibt es soviel Zuwanderung aus den Nachbarländern?
Schirmel: Sowohl vor dem Referendum als auch seit der Unabhängigkeit sind sehr viele Helfer ins Land gekommen. Es haben sich sehr viele Hilfsorganisationen engagiert. Der Südsudan hat aufgrund des jahrelangen Bürgerkriegs ein extrem niedriges Bildungsniveau. Man schätzt, dass 80 bis 90 Prozent der Bevölkerung Analphabeten sind. Für Hotels, für Dienstleistungen und für den Handel brauchte man Leute und die Nachbarländer haben ihre Chance ergriffen. Im Südsudan werden diese Arbeitsstellen, die von Hilfsorganisationen oder internationalen Firmen angeboten werden, besonders gut bezahlt.
Da kommt schnell ein Gefühl von Ungerechtigkeit auf. Man fürchtet, dass man keinen Anteil hat und das Geld in ausländische Taschen fließt. Vielleicht ist es vergleichbar mit der Arbeit, die Deutsche im medizinischen Sektor in Großbritannien gesucht haben, weil diese dort einfach besser bezahlt werden als in Deutschland.
domradio.de: Jetzt will der Vatikan das Land unterstützen und unter anderem Geld spenden. Der Papst hat in den vergangenen Wochen auch immer wieder angekündigt, dass er persönlich das Land besuchen will. Diese Reise wurde jedoch wieder abgesagt, weil es ihm zu unsicher ist. Können Sie diese Entscheidung nachvollziehen?
Schirmel: Ja, ich kann dies teilweise nachvollziehen. Wenn man den Südsudan kennt – und ich war schon viermal dort - weiß man, er ist sehr unorganisiert. Der Flughafen ist ein Zelt. Es gibt kaum Infrastruktur. Allein die Logistik wäre unglaublich schwierig. Man müsste wahrscheinlich sehr viel aus den Nachbarländern einfliegen. Gleichzeitig ist die Sicherheitslage in den letzten Monaten dramatisch schlechter geworden. Man redet wirklich von Genozid. Es gibt Situationen, die denen in Somalia ähneln, wo es eine Fragmentierung der vielen verschiedenen Rebellengruppen gibt.
domradio.de: Der Vatikan spendet insgesamt 450.000 Euro. Was kann dieses Geld im Südsudan bewirken?
Schirmel: Die Kirchen sind auf mehreren Ebenen in der Friedensarbeit aktiv, Nicht nur die katholische Kirche - es gibt einen ökumenischen Kirchenrat, der seine Friedensarbeit bündelt. Die katholische Kirche hat auf nationaler wie diözesaner Ebene eine Kommission für Gerechtigkeit und Frieden gebildet, die gemeinsam mit der Bevölkerung in den verschiedenen Pfarreien arbeitet. Dafür werden auch Leute und Geld gebraucht. Die Kirchen sind eine Instanz, die noch eine gewisse Anerkennung von allen Seiten bekommt – sowohl von den Rebellen als auch von den Regierungsparteien.
Sie sitzen ein bisschen zwischen den Fronten, weil sie auf der einen Seite schnell beschuldigt werden, mit den Rebellen zusammenzuarbeiten, wenn sie Kritik an der Regierung üben. Auf der anderen Seite werden sie als Spione der Regierung angesehen, wenn sie regierungsfreundlich sind oder mit staatlichen Stellen zu kooperieren versuchen. Es ist eine Gratwanderung, aber die Kirchen sind für viele Menschen noch der einzige stabilisierende Faktor in der Friedens-, und Bildungsarbeit sowie im Gesundheitsbereich.
Das Gespräch führte Renardo Schlegelmilch.