domradio.de: Die Studie "Global Scripture Distribution Report" weist aus, dass im Jahr 2015 noch rund 1,3 Millionen Bibelausgaben digital abrufbar waren, im vergangenen Jahr schon über drei Millionen. Woran liegt es, dass sich die Zahl der mehr als verdoppelt hat?
Winfried Kuhn (Geschäftsführer des Verlags Katholisches Bibelwerk): Der Hauptgrund ist einfach, glaube ich, dass sich auch die Zahl der digital möglichen Abrufgeräte und Tablets verdoppelt hat. Früher haben die Leute gar keine Möglichkeit gehabt, sich solche Geräte anzuschaffen, heute hat man das dabei. Wer sich ein Tablet kauft und nur halbwegs fromm ist, wird sicherlich als erstes zur Bibel greifen.
domradio.de: Die Nachfrage regelt quasi das Angebot. Die Bibel ist immer noch eines der meistverkauften Bücher weltweit. Die Verbreitung der Bibel allgemein hat einen Zuwachs von rund 15 Prozent, also über 401 Millionen Bibeln. Hat die Digitalisierung schon etwas dazu beigetragen?
Winfried Kuhn: Ganz bestimmt, da die Möglichkeiten vorhanden sind, sich überhaupt Bibeln digital anzuschaffen und sie auch mitzunehmen. Wenn ich heute in einen Gottesdienst gehe, sehe ich manchmal, wie jemand sein Smartphone herausholt und den Lesungs- oder Evangeliumstext mitliest. Dann denke ich mir, das ist eine neue Generation, die da heranwächst.
In der heutigen Firm-Arbeit zum Beispiel hat jeder in irgendeiner Form die Bibel auf seinem Mobile dabei.
domradio.de: Das sind einige Vorteile für das Lesen auf dem Smartphone oder Tablet. Sehen Sie auch Nachteile für diese neue Art des Bibel-Lesens?
Winfried Kuhn: Ja, ein bisschen schon. Ich glaube, wenn jemand die Bibel als Buch liest, liest er sie auch immer im ganzen Zusammenhang. Wir haben heute ein "Instant-Wissen", wenn wir nur noch einen Bibelvers eingeben müssen. Oder wir suchen nur noch einzelne Dinge heraus wie ein modernes Horoskop.
Ich persönlich finde es sehr wichtig, dass man die Bibel immer im Zusammenhang liest. Dann bekommt man ein Gefühl davon, welche Erfahrungen Menschen mit Gott gemacht haben – mit allen Vor- und Nachteilen.
domradio.de: Nach einem Vers suchen zu können, indem man die Textzeile eingibt, ist sehr einfach. Das schätzen viele sehr. Welche Möglichkeiten des Bibel-Lesens sehen Sie für die Zukunft? Wird es noch multimedialer?
Winfried Kuhn: Die Grenze ist noch nicht erreicht, denke ich. Es wird bestimmt in Zukunft auch multimediale Angebote geben, die kleine Filme und Bilder abspeichern, die zusätzlich zu dem Bibeltext auch die Landkarte einblenden.
Bei unserer Einheitsübersetzung haben wir auf den letzten vier Seiten den kleinen Versuch gemacht, zum Beispiel die GPS-Daten von den biblischen Städten abzudrucken. So etwas wird in Zukunft sicherlich automatisch bei modernen Bibelausgaben, die elektronisch verfügbar sind, dabei sein.
Das Interview führte Tobias Fricke.