domradio.de: Präsident Maduro spricht von der gestrigen Wahl als "größter Abstimmung für die Revolution". 41,5 Prozent der Venezolaner hätten sich am Urnengang beteiligt.
Monika Lauer-Perez (Venezuela-Referentin beim katholischen Hilfswerk Adveniat): Ich würde zunächst diesen großen Erfolg für die Revolution relativieren. Es sind etwas mehr als 19 Millionen Venezolaner wahlberechtigt und etwas über acht Millionen haben sich gestern beteiligt. Das ist für venezolanische Verhältnisse eher gering. Auf der anderen Seite gab es am Sonntag vorher das von der Opposition einberufene Referendum gegen genau diese Wahl von gestern. Und dort haben auch immerhin über sieben Millionen ihre Stimme abgegeben. Es ist zwar nicht kontrollierbar, ob da alles mit rechten Dingen zugegangen ist, aber der Unterschied ist auf jeden Fall nicht so bedeutend.
domradio.de: Die frisch gewählte Versammlung wird jetzt eine neue Verfassung ausarbeiten nach dem Willen von Nicolás Maduro. Worauf läuft das hinaus?
Lauer-Perez: Er behauptet, dass sie die von Chávez präsentierte Verfassung noch perfektionieren würden. Die Befürchtungen gehen aber eher in die Richtung, dass er seine Macht am Parlament vorbei zementieren möchte. Denn das jetzige Parlament wird seit Anfang 2016 oder Ende 2015 von der Opposition kontrolliert.
domradio.de: Im Grunde möchte er sich zu so einer Art Diktator aufschwingen?
Lauer-Perez: Genau, das wäre wohl das Resultat.
domradio.de: Schon lange herrschen chaotische Verhältnisse im Land. Die Menschen haben wirklich Mühe ihr alltägliches Überleben sicherzustellen. Tausende sind bereits nach Kolumbien geflohen. Wird sich die Lage wohl noch weiter zuspitzen?
Lauer-Perez: Ich fürchte leider, dass da noch einiges auf uns zukommt. Die Zahlen, die ich am Anfang genannt habe, lassen schon erkennen, wie polarisiert die Menschen in Venezuela sind. Da gibt es viele, die sich dem Vorgehen Maduros entgegenstellen und auch keine eigenen Überlebenschancen sehen. Es gibt aber auch viele, die Maduro stützen. Im Prinzip ist mit dem, was da gestern passiert ist, die Tür zu weiteren Gewalttaten geöffnet worden. Zudem mischen sich auch noch ausländische Regierungen ein. Gegen Maduro sind explizit die USA, Kolumbien, Mexiko und Panama. Sie haben schon gesagt, dass sie das Ergebnis nicht anerkennen werden, genauso wie Peru und Argentinien. Ich denke, das Potential ist da, dass sich die Situation in Venezuela noch zu einer größeren Krise ausweiten wird.
domradio.de: Die Bilder von gestern sahen aus, wie Aufnahmen aus einem Bürgerkrieg. Glauben Sie, dass sich das Land tatsächlich auf einen solchen Bürgerkrieg zubewegen könnte?
Lauer-Perez: Ja, leider Gottes fürchte ich, dass das diesen Weg nehmen wird. Wie gesagt, die Polarisierung und auch die Not tun ihres dazu bei.
domradio.de: Venezuela ist ein katholisches Land. Die Kirche dort kritisiert Maduro schon lange. Wie hat sich die Kirche vor der Wahl gestern positioniert?
Lauer-Perez: Sie hatte im Prinzip dazu aufgerufen, Gewalt zu vermeiden. Das ist ja immer wieder der Appell. Und die Kirche ist nicht eben Maduro-freundlich. Im Grunde genommen geht es der Kirche darum, dass Maduro seine Macht nicht zementieren kann, schon gar nicht auf diese Art und Weise, weil er ja eben nicht durch das Volk gewählt ist, wenn man so will.
domradio.de: Was bedeutet das alles jetzt für die Arbeit von Adveniat? Was melden Ihre Partner von vor Ort zurück?
Lauer-Perez: Sowohl aus Kolumbien, als auch aus Venezuela erreichen uns tatsächlich dramatische Beschreibungen der Situation. Die Not in Venezuela ist nicht erst seit gestern bekannt. Das ist schon eine ganze Zeit lang so, dass wir versuchen dort Hilfestellungen zu leisten. Aber jetzt kommen natürlich wieder vermehrt Rufe nach Hilfe aus Kolumbien, die im Moment eine massive Flüchtlingswelle von Venezolanern aufnehmen. Sie sind damit schlicht und ergreifend überfordert. Die Regierung ist kaum in der Lage den betroffenen Diözesen in der Grenzregion Hilfestellungen zu leisten. Deshalb werden wir auch da wieder gebeten in Rahmen unserer Möglichkeiten zu unterstützen, was Nahrungsmittel, Medikamente und vor allen Dingen auch Impfungen betrifft. Denn es besteht immer die Gefahr einer Epidemie, weil die Menschen dort unter unsäglichen hygienischen Bedingungen leben.
Das Interview führte Hilde Regeniter.