KNA: Eine Neugründung, wie sie Ihre Gemeinschaft jetzt in Neuzelle südlich von Frankfurt/Oder veranlasst, ist heutzutage ungewöhnlich. Wie oft sind die Zisterzienser von Heiligenkreuz diesen Weg gegangen?
Maximilian Heim (Abt der Zisterzienserabtei Heiligenkreuz): Wir haben im Laufe unserer Geschichte in den vergangenen fast 900 Jahren insgesamt acht Neugründungen gewagt. Die letzte Neugründung war vor fast 30 Jahren im Ruhrgebiet, in Bochum-Stiepel.
KNA: Wie kam es dazu?
Heim: Wegen der Klostergründung in Bochum wurden der damalige Abt Gerhard Hradil OCist und der Ruhrbischof Franz Hengsbach damals noch belächelt. Denn es zeichnete sich schon ab, dass andere Orden ihre Niederlassungen werden schließen müssen. Der Bischof fragte uns 1986, ob wir bereit sind, an diesem Marienwallfahrtsort ein neues Kloster zu gründen. Der Bauherr in Stiepel waren nicht die Zisterzienser, sondern die Diözese Essen.
Die Vorgeschichte des dortigen Marienwallfahrtsortes ist lang: Im Jahr 1908, zum 900-Jahr-Jubiläum der Stiepeler Dorfkirche, die bis 1600 noch eine Marienwallfahrtskirche gewesen ist, tauchte das seit 100 Jahren verschollen geglaubte Gnadenbild wieder auf. Aus dieser Dynamik wurde 1914/15 eine neue katholische Wallfahrtskirche in 4 Kilometer Entfernung errichtet.
KNA: Wie konnte dieser geistliche Ort wachsen?
Heim: Bischof Hengsbach sprach mehrere Ordensgemeinschaften an. Dann traf er zufällig einen Heiligenkreuzer Zisterzienser, der aus dem Ruhrgebiet stammte: Pater Adalbert Diehl, einen gelernten Exportkaufmann, der inzwischen die wirtschaftliche Verantwortung in Heiligenkreuz innehatte. Nun sprang der Funke über, so dass der Heiligenkreuzer Konvent, der damals rund 50 Mönche zählte, bereit war, vier Mönche in das 1.000 Kilometer entfernte Ruhrgebiet zu entsenden.
KNA: Nun belebt Ihre Gemeinschaft also das ehemalige Kloster in Neuzelle wieder. Haben Sie dafür die Manpower?
Heim: Wir haben in Heiligenkreuz gegenwärtig ein blühendes Kloster. Es ist fast 900 Jahre alt und dennoch sehr jung, denn der Altersdurchschnitt beträgt 45 Jahre. Seit 40 Jahren ist unser Noviziat nie leer gewesen. In unserer Gemeinschaft gab und gibt es einen inneren Zusammenhalt, der nicht selbstverständlich ist. So ist es auch für uns ein großes Opfer, vier Mönche zu entsenden, die hier beheimatet sind. Anfangs war ich skeptisch in Bezug auf Neuzelle. In der Initiative Bischof Wolfgang Ipolts und in der außergewöhnlichen Zustimmung der Gläubigen in Neuzelle sehen wir aber ein Zeichen, das darauf hinweist, dass es der Wille Gottes sein kann.
KNA: Ist die Gründung in Neuzelle kein großes Risiko für den Orden?
Heim: Eine Neugründung geht grundsätzlich bei den Zisterziensern nicht vom Gesamtorden aus, sondern von einer selbstständigen Abtei, die eigenverantwortlich als Mutterkloster fungiert. Sie hat sich dabei an das Statut für Neugründungen, welches das Generalkapitel des Ordens verabschiedet hat, zu halten. Dieses legt unter anderem fest, dass eine Neugründung die Mutterabtei nicht auf Dauer wirtschaftlich belasten darf.
KNA: Neuzelle liegt in der kirchenfernen Diaspora. Wie sind Sie darauf vorbereitet?
Heim: Die Mitbrüder, die nach Neuzelle geschickt werden, kennen aus eigener Erfahrung ganz unterschiedliche gesellschaftliche Milieus. Außerdem hat sich "Kirchenferne" beziehungsweise die Gleichgültigkeit gegenüber dem kirchlichen Glauben in unserer Krisenzeit überall in Mitteleuropa ausgebreitet. So ist die Zahl der Messbesucher in den vergangenen 30 Jahren auch im Wienerwald kontinuierlich gesunken, mittlerweile besuchen weniger als 10 Prozent sonntags den Gottesdienst in unseren Gemeinden.
Ähnlich wie im Ruhrgebiet werden deshalb die Mitbrüder in Neuzelle vor allem in die Seelsorge gehen, die in Österreich zu den Hauptaufgaben der Zisterzienser gehört. Wir hoffen, dass in Neuzelle ein Ort der geistlichen Einkehr entstehen kann, gerade in einer Gegend, in der sich nicht viele Menschen zum christlichen Glauben bekennen. Ich glaube, es ist manchmal einfacher, einem fragenden Atheisten von Jesus Christus zu erzählen, als einen gleichgültig gewordenen getauften Christen neu für das Evangelium zu begeistern.
KNA: Und in Neuzelle scheint es durchaus gute Rahmenbedingungen zu geben...
Heim: Neuzelle ist auch nach der staatlichen Aufhebung des Klosters im Jahr 1817 ein Ort des Gotteslobes geblieben. Seit 1818 ist es ein Ort der ökumenischen Nachbarschaft mit der evangelischen Kirchengemeinde geworden und nach dem 2. Weltkrieg war es zugleich der Wallfahrtsort des entstehenden Bistums Görlitz. Aber die politischen Entwicklungen des letzten Jahrhunderts haben tiefe Spuren hinterlassen: Nur noch rund 20 Prozent der Menschen bekennen sich hier zu einer der christlichen Kirchen. Genau in diesem Kontext wollen wir durch unsere klösterliche Lebensform ein Zeugnis dafür geben, dass ein Leben der Hingabe für Christus und sein Evangelium nicht ins Leere läuft.
KNA: Worauf kommt es aus Ihrer Sicht beim Ordensleben an?
Heim: Für Ordensleute ist die Authentizität des eigenen Lebens wichtig. Ein vom Evangelium inspiriertes Leben strahlt aus - auch auf andere Menschen, die überlegen, einem Orden beizutreten. Jesus Christus hat uns den Auftrag gegeben, missionarisch in diese Welt hineinzuwirken und den Menschen eine Ahnung von Gott und seiner Liebe zu vermitteln. Ich nenne nur ein paar Schlagworte: Nächstenliebe, Feindesliebe, Verzeihen, Gemeinschaft, Hoffnung über den Tod hinaus.
All das ist auch in unserer Gesellschaft, gerade auch in atheistischen Regionen, wichtig zu thematisieren, weil es die Existenz des Menschen betrifft.
KNA: Wie wird das Kloster Neuzelle in zwei, drei Jahren aussehen?
Heim: Ich glaube, dass wir zum 750. Jubiläum der Gründung von Neuzelle im kommenden Jahr ein vom Stift Heiligenkreuz abhängiges Priorat offiziell errichten können. Es muss noch einiges organisiert werden, damit die Mitbrüder nach monastischen Regeln - beispielsweise in einer Klausur - leben können.
Der wichtigste Ort für die Mitbrüder ist natürlich die Kirche, ansonsten können wir auf kein anderes Gebäude Anspruch erheben. Wo das Kloster schließlich entstehen wird - ob in den alten Gebäuden oder ob wir eine andere Möglichkeit finden -, das müssen wir noch gründlich prüfen. Es muss nicht alles von heute auf morgen fertig sein, auch nicht bis zum 2. September 2018, wenn das Priorat kirchenrechtlich errichtet werden soll. Vieles wird sich auch erst in den nächsten Jahren entwickeln. Mit dieser inneren Geduld und mit langem Atem zu denken und zu leben, das beruhigt und entlastet. Wir lassen uns für diese Klosterneugründung Zeit - Zeit, die jedes Wachstum braucht!
Das Interview führte Rocco Thiede.