Als sich Angelika Hartmann entschließt, in ihrem gutbürgerlichem Hause einen nigerianischen Flüchtling aufzunehmen, ist von einem Tag auf den anderen nichts mehr so, wie es war. Weil sich ihr Mann Richard überhaupt nicht mit dem Neuankömmling anfreunden kann, gerät der Familienfrieden in Gefahr. Ein Begrüßungsfest läuft völlig aus dem Ruder, und plötzlich ziehen Rechtsradikale auf, um vor dem Haus zu demonstrieren.
Was in der Kinokomödie aus dem Jahr 2016 "Willkommen bei den Hartmanns" nicht ganz politisch korrekt zu einer riesigen Geschichte aufgebauscht wird, ist im wirklichen Leben meist nicht ganz so spektakulär. Dennoch ist es durchaus ungewöhnlich, was sich in einem Reihenhaus in Henstedt-Ulzburg, einer ruhigen Gemeinde im Hamburger Speckgürtel, abspielt. Seit einem halben Jahr teilt der pensionierte Pfarrer Gerhard Gerding (73) dort mit den beiden Flüchtlingen aus Eritrea Fikremariam Okbamichael (23) und Yosief Hbtzghi (22) seine Wohnung. "Die Männer sind für mich ein Geschenk der Himmels", sagt der katholische Geistliche.
Flucht vor dem Militärdienst
Während Gerding Getränke holt, räumen seine beiden Mitbewohner vor dem Interview noch rasch den Küchentisch auf. Im Gespräch überlässt Gerding meist den Eritreern das Wort. Ihr Deutsch ist gebrochen, aber es reicht, um ihre Geschichte zu erzählen.
Okbamichael und Hbtzghi flohen 2015, als sie zum Militär einberufen wurden und - wie viele ihrer Landsleute - Repressalien fürchteten. Die beiden Freunde gelangten über die Mittelmeerroute nach Norddeutschland, wo sie zunächst in einem Flüchtlingsheim unterkamen.
"Jede Mahlzeit ist ein Deutschkurs"
Die Katholiken fanden Anschluss in der Kirchengemeinde in Norderstedt, Nachbarstadt von Henstedt-Ulzburg am nördlichen Stadtrand von Hamburg. Als Pfarrer Gerding davon hörte, dass der Gemeindereferent nach einer Wohnung für sie suchte, zögerte er nicht lange und nahm sie auf. "Ich hatte ja genug Platz", sagt er. Gerding war vor anderthalb Jahren in den Ruhestand getreten und hatte das zweistöckige Reihenhaus bezogen.
Aus dem Gemeindeleben sei er es gewohnt gewesen, stets von jungen Leuten umgeben zu sein. Auf die Frage, wie das Zusammenleben läuft, wissen die drei nicht so recht, was sie antworten sollen. "Unkompliziert", sagt Gerding kurz und knapp. Gegessen wird gemeinsam und bei Tisch viel gesprochen:
"Jede Mahlzeit ist ein Deutschkurs." Die beiden Eritreer sind heilfroh, eine feste Bleibe gefunden zu haben: "Im Flüchtlingsheim war alles zu unpersönlich", sagt Hbtzghi.
Initiative vermittelt Wohnungen
Dass Flüchtlinge ein Zuhause in einem deutschen Privathaushalt finden, ist nach Angaben der Berliner Initiative "Flüchtlinge willkommen" die Ausnahme. Die Organisation ist die einzige, die bundesweit Flüchtlinge in Wohngemeinschaften vermittelt. 400 Zuwanderer fanden seit der Gründung im Jahr 2014 eine Bleibe. "Die Bereitschaft, einen Geflüchteten aufzunehmen, hat abgenommen", stellt Mareike Geiling fest, eine der Gründerinnen. Die Euphorie, die anfangs noch zu spüren gewesen sei, habe seit Ende 2015 deutlich nachgelassen.
Bei der Vermittlung macht die Initiative fast nur gute Erfahrungen. Die Abbruchquote liegt unter fünf Prozent. "Letztlich ist ein Geflüchteter ein Mitbewohner wie jeder andere auch", sagt Geiling. Kulturelle Unterschiede würden eher selten zu Problemen führen. Die Miete werde in der Regel problemlos von den Behörden bezahlt.
Essen mit Messer und Gabel
"Wichtig ist, vor dem Einzug genau zu besprechen, wie man sich das Zusammenleben vorstellt."
Auch Pfarrer Gerding hat mit seinen Mitbewohnern Absprachen getroffen. Aus Eritrea kennen sie es beispielsweise, mit den Fingern zu essen statt mit Messer und Gabel. "Das kommt hier nicht infrage", sagt Gerding. Außerdem will er informiert werden, wenn sie Freunde mit nach Hause bringen. "Ansonsten hat jeder seine Freiheiten."
Eine Sache ist in Henstedt-Ulzburg dann doch so ähnlich wie im Kinofilm, der natürlich mit Happy End schließt. Schon nach kurzer Zeit ist die Wohngemeinschaft zu einer echten Familie zusammengewachsen: "Es ist, als wenn ich im Alter noch einmal zwei Enkelkinder bekommen hätte", sagt Gerding.