domradio.de: "Bewahren Sie sich die Bereitschaft, die Demokratie gegenüber Fanatikern und Fundamentalisten" sagte Norbert Lammert, der ebenfalls gestern seinen letzten Arbeitstag hatte, zu den Abgeordneten. Ist das denn eine realistische Gefahr für Deutschland?
Wolfgang Bosbach: Ich habe für den Aufruf volles Verständnis, aber wir haben seit Jahrzehnten eine sehr starke und gefestigte Demokratie. Hassprediger, Fanatiker und Extremisten haben bis zur Stunde nie eine realistische Chance in der Bundesrepublik gehabt, die Macht an sich zu greifen. Wir hoffen über Parteigrenzen hinweg, dass das auch in Zukunft so bleibt.
domradio.de: Seit 1994 saßen Sie im Bundestag, damals noch in Bonn. Wenn Sie zurückblicken auf diese 23 Jahre, stehen wir als Land heute besser da als damals?
Bosbach: Wenn man die Situation vergleicht, heute und damals, stehen wir selbstverständlich besser da. Die Teilung Deutschlands ist aufgehoben. Viele verklären ja etwas die Vergangenheit uns sagen, früher war alles besser. Wir hatten aber damals Mauer, Stacheldraht und Schießbefehl. Wir waren ein geteiltes Land, auch die Welt stand mehr als einmal wieder am Abgrund, unmittelbar vor einem dritten Weltkrieg. Wir hatten eine Ost-West-Konfrontation, die uns über Jahrzehnte in Atem gehalten hat.
Norbert Lammert hat gestern in der Rede gesagt, dass die Zeit gleich lang ist, seit die Mauer gefallen und die Mauer gestanden hat. Natürlich gibt es auch heute eine Reihe von Problemen und Herausforderungen. Wenn wir den Blick um uns herum wenden und uns die Entwicklung in vielen Staaten der Welt ansehen, ist es doch erstaunlich und nicht selbstverständlich, dass wir in einer stabilen Demokratie leben. Wir können dankbar sein für ein hohes Niveau der sozialen Sicherheit, das wir in Deutschland haben. Ebenso, dass wir ein gefestigter Rechtsstaat sind. Millionen träumen davon, unter diesen Verhältnissen leben zu können.
domradio.de: Die CDU ist und bleibt immer noch eine christliche Partei, das C im Namen ist auch ihnen als Katholik wichtig. Sie haben sich mehrfach zum Umgang mit christlichen Flüchtlingen geäußert und bei der Ehe für Alle auch mit "Nein" gestimmt. Was denken Sie, wie wird es jetzt weitergehen mit dem "C" in ihrer CDU?
Bosbach: Ich hoffe für uns ist das nicht nur ein Markenzeichen, sondern auch Wegweiser für politische Entscheidungen. Das gilt besonders für die Themen, wegen denen ich damals überhaupt politisch aktiv geworden bin. Das sind vor allem Lebensschutzfragen: der Beginn des menschlichen Lebens, der Schutz des ungeborenen Lebens, der Schutz und die Fürsoge für die letzte Lebensphase des Menschen.
Ob wir eine wirklich humane Gesellschaft sind, zeigt sich in erster Linie daran, wie wir mit denen umgehen, die ihre Interessen nicht machtvoll demonstrieren können. Dazu gehören die alten, kranken und schwachen Menschen, ebenso wie das ungeborene Leben. Da kann uns unser christlicher Glaube Maßstab und Orientierung sein für die politischen Entscheidungen, die wir zu treffen haben.
domradio.de: In gut zwei Wochen wählen wir den 19. deutschen Bundestag. Was erwarten Sie für die Bundespolitik in den nächsten vier Jahren? Was muss passieren?
Bosbach: Der neue Bundestag muss ja spätestens am 21. Oktober zusammenkommen. So lange sind ja auch die jetzt noch amtierenden Abgeordneten Mandatsträger. Es wird eine enge Entscheidung am 24. September. Koalitionen sind unter zwei Voraussetzungen möglich: rechnerisch und politisch. Wir werden in den nächsten Jahren eine Konjunktur der Außenpolitik erleben. Wir haben eine immer stärker werdende Fliehkraft in der Europäischen Union und einen nicht unkomplizierten Präsidenten in den USA. Dazu haben wir die Probleme in der südlichen EU-Zone noch lange nicht gelöst. Die internationalen Themen werden weiterhin ganz oben auf der Tagesordnung stehen. Die innere Sicherheit beim Kampf gegen den Terror und der Migrationsdruck auf Europa, insbesondere auf Deutschland, sind ebenso wichtige Themen. Also der neue deutsche Bundestag hat mit Sicherheit genauso viel zu tun wie der jetztige.
Das Gespräch führte Renardo Schlegelmilch.